Die innere Sicherheitsarchitektur besteht aus den Akteuren, die für die Sicherheit im Inland sorgen sollen. Die Arbeit von Polizei und Nachrichtendiensten trägt dazu bei, dass Deutschland ein vergleichsweise sicheres Land ist. Doch Vorkommnisse wie die massenhafte Spionage durch inländische wie ausländische Geheimdienste, die Taten der Terrororganisation NSU oder Aufklärungs- und Vollzugsdefizite bei teilweise schwersten Straftaten haben in der Vergangenheit gezeigt, dass die deutsche Sicherheitsarchitektur nicht immer in der Lage ist, den Schutz der Grundrechte zu gewährleisten.
Deswegen setzen wir Junge Liberale Baden-Württemberg uns für strukturelle Veränderungen bei Polizei und Nachrichtendiensten ein.
Die föderale Organisation der Polizei in Deutschland ist richtig, um Kriminalität vor Ort zu verhindern und zu bekämpfen sowie gleichzeitig eine Machtkonzentration bei einer Bundesbehörde zu vermeiden. Trotzdem sehen wir den Bedarf für stärkere Vernetzung und Koordinierung. Die bundeseinheitlichen Polizeidienstvorschriften sollen insbesondere für den bundeslandübergreifenden Einsatz von Polizisten ausgebaut werden. Gerade die Landeskriminalämter (LKA) sollen stärker kooperieren, um effektiver und effizienter zu arbeiten. Es ist nicht sachdienlich, dass jedes LKA jede Spezialfähigkeit vorhält. Das Bundeskriminalamt (BKA) kann bei der Weiterentwicklung und Erforschung von Spezialfähigkeiten eine wichtige Koordinierungsfunktion wahrnehmen. Insbesondere bei größeren Anschaffungen der LKAs ist darauf zu achten, dass eine Kompatibilität mit der Ausstattung anderer LKAs gewährleistet ist, um gemeinsame Einsätze zu ermöglichen. Darüber hinaus muss die Terrorismusbekämpfung als eine Führungsaufgabe dem Bundeskriminalamt zugeordnet werden. Die zuständigen Abteilungen in den Landeskriminalämtern und den lokalen Polizeibehörden, die hier bislang wesentlich in der Verantwortung stehen, sollen dem BKA nachgeordnet werden. Das bereits existierende Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) trägt zur Vernetzung der verschiedenen Sicherheitsbehörden in effektiver Art und Weise bei. Eine Ausweitung der Aktivitäten auf die Eindämmung anderer möglicher Gefahrenlagen oder eine andersartige Ausdehnung der Befugnisse des GTAZ ist jedoch abzulehnen. Die Austauschplattformen sind in föderalen Sicherheitsarchitekturen notwendig, von daher halten wir das Gemeinsame Extremismus- und das Gemeinsame Terrorzentrum für uns als notwendige Einrichtungen, auch wenn sie im Hinblick auf das Trennungsgebot kritisch zu hinterfragen sind und einer besseren parlamentarischen Kontrolle unterstellt werden müssen.
Wir fordern darüber hinaus einen bundesweit einheitlichen Kriterienkatalog für die Einstufung als und von Gefährdern.
Die Polizei ist in erster Linie für die innere Sicherheit zuständig. Damit die Polizei ihre Aufgabe erfüllen kann, benötigen Polizisten sowohl eine hervorragende Ausbildung und genügend dienstfähige Kollegen, als auch eine moderne technische Ausstattung, die sich an den tatsächlichen Aufgaben in den einzelnen Bundesländern orientiert. Polizisten dürfen nicht auf den privaten Zukauf von Ausrüstung aufgrund von Mängeln angewiesen sein. Bei der Ausbildung muss sowohl die Effektivität der Polizeiarbeit, als auch der Grundrechtsschutz von Bürgern und Beamten im Mittelpunkt stehen. Zur Bemessung der benötigten Personalkapazitäten und technischen Ressourcen sind Schutzziele, wie sie im Bereich der Feuerwehren oder des Rettungsdienstes bereits üblich sind, zu definieren. Diese müssen auf u. a. an der Kriminalitäts- und Bedrohungslage der einzelnen Regionen, der Eintreffzeit der benötigten Einheiten und einem statistischen Erreichungsgrad basieren. In regelmäßigen Abständigen sind Risikoanalysen zu erstellen, durch (polizei-)externe Experten zu beurteilen und die Schutzziele anzupassen. Auch gut ausgebildete Polizeibeamte sind nicht immun gegen Fehlverhalten. Um die Unabhängigkeit und Unbefangenheit bei Ermittlungen gegen Polizeibeamte in Strafsachen sicherzustellen, sollen diese zukünftig zentral durch eine neu zu schaffende Abteilung „Interne Ermittlungen“ der Landeskriminalämter beziehungsweise des Bundeskriminalamtes erfolgen. An diese unabhängige Stelle sollen sich alle Bürger direkt und vertraulich wenden und eine Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen können. Zur besseren Nachvollziehbarkeit von Straftaten durch Polizeibeamte ist deren individuelle Kennzeichnung durch randomisierte Nummern notwendig, auch in geschlossenen Formationen. Einen freiwilligen Polizeidienst ohne ausreichende Qualifizierung und frei von jeglichen hoheitlichen Rechten lehnen die Jungen Liberalen Baden-Württemberg entschieden ab.
Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten muss aufrechterhalten werden. Wir streben eine verfassungsrechtliche Normierung an. Die Kompetenzverteilung der Nachrichtendienste zwischen dem Bundesnachrichtendienst (BND) für Auslandsaufgaben und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) für Inlandsaufgaben ist richtig. Das Verfassungsschutzreformgesetz war ein wichtiger Anfang, um die Arbeit der Verfassungsschutzämter zu verbessern. Langfristig sollen im Rahmen einer Strukturreform aber die Landesämter für den Verfassungsschutz aufgelöst werden. Frei werdende Ressourcen und die bisherigen Aufgaben sind auf das reformierte Bundesamt für Verfassungsschutz mit Dienststellen in allen Bundesländern zu verlagern. Auch der Zoll darf nicht durch ständige Kompetenzerweiterungen zu einer gefährlichen Mischung aus Polizei und Geheimdienst werden: Es braucht an dieser Stelle eine klarere Aufgabenteilung und Befugnisbeschränkungen. Beide Nachrichtendienste müssen die Fähigkeiten Spionageabwehr und Gegenspionage entsprechend der technologischen Möglichkeiten fortlaufend ausbauen. Die Spionageabwehr darf dabei nicht nur die Abwehr physischer oder ökonomischer Gefahren sondern muss auch die Gewährleistung der Grundrechte Privater im Blick haben. Um die Kontrolle der Nachrichtendienste zu verstärken muss die personelle und finanzielle Ausstattung der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) und des Vertrauensgremiums verbessert werden. Die Mitarbeiter der Kontrollgremien dürfen nicht ausschließlich aus ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern bestehen und sollten dem Grundsatz der Diversität gerecht werden. Zudem halten wir eine Informationspflicht des G10-Gremiums gegenüber dem PKG für notwendig, um den Parlamentariern ein Gesamtbild der nachrichtendienstlichen Arbeit zu ermöglichen. Im G10 Gremium selbst sollen nur noch kontradiktorische Entscheidungsverfahren möglich sein. Dabei muss jeweils ein Vertreter des Gremiums die Contra-Position übernehmen. Wir fordern, die im Zuge des G10-Gesetzes vorgenommene Änderung des Artikels 10 GG rückgängig zu machen und dessen Urfassung wiederherzustellen: Ein Staat, der seinen Bürgern die rechtliche Kontrolle seiner Handlungen verwehrt und ihnen Freiheitseinschränkungen verschweigt, verstößt unserer Meinung nach gegen fundamentale Prinzipien des Rechtsstaates. Jeder EU-Bürger sollte so schnell wie möglich, aber nach spätestens 30 Jahren, ausnahmslos von gegen ihn gerichtete Überwachungsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt werden und ihm der reguläre Rechtsweg offenstehen. Um Geheimdienste auch präventiv zu kontrollieren, soll die Stelle eines Geheimdienstbeauftragten des Deutschen Bundestages geschaffen werden, der überlaufende Inlandstätigkeiten der Geheimdienste umfassend informiert wird. Die Kompetenzen des PKG sollen gestärkt werden. Das PKG soll vollumfänglich und auf eigene Anfrage über nachrichtendienstliche Ermittlungen oder Vorkommnisse informiert werden. Zudem hat er das Recht den Dienst frei von aktuellen Anlässen zu prüfen und fungiert als vertraulicher Ansprechpartner für alle Geheimdienstmitarbeiter um Missstände zu melden. Wir fordern in diesem Zusammenhang auch die Einführung eines Whistleblower-Schutzgesetzes, welches im Fall der Aufdeckung von Grundgesetzverstößen den Tatbestand des Geheimnisverrats heilt.
Um einen Effektivitätsverlust der Sicherheitsarchitektur und ihrer gesetzlichen Basis zu verhindern, fordern die Jungen Liberalen Baden-Württemberg die regelmäßige Evaluation der Sicherheitsgesetzte durch eine Kommission bestehend aus Vertretern der Regierung, dem Parlament sowie externen Sachverständigen aus Praxis und Wissenschaft im Hinblick auf die Effektivität und den Schutz von Bürgerrechten. Alle Gesetze im Bereich zur Einführung von Sicherheitsmaßnahmen sollen dafür mit einer Auslaufklausel („sunset clause“) von fünf Jahren versehen werden.
Kriminalität war niemals nur lokal oder national begrenzt, doch Europäische Integration und Globalisierung haben neben überwiegend positiven Ergebnissen auch kriminelles, grenzüberschreitendes Verhalten einfacher gemacht. Um organisierter Kriminalität, Terrorismus oder strafbarem Handeln in grenznahen Regionen zu begegnen, braucht es Kooperation auf europäischer und internationaler Ebene. Die im Bereich der innereuropäischen Sicherheit tätigen Agenturen der EU (EUROJUST, EUROPOL, CEPOL, FRONTEX) leisten einen wichtigen Beitrag zum Schutz von grundrechtlich geschützten Rechtsgütern. Wir setzen uns für einen weiteren Ausbau der gemeinsamen Zentren der deutschen und französischen Polizei ein.
Künftig sollen alle EU Sicherheitsagenturen dem Europäischen Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig sein und regelmäßig Bericht erstatten. Alle EU Sicherheitsagenturen sollen zudem eine Position schaffen, die die Einhaltung der europäischen Grundrechte kontrolliert und sowohl durch das Europäische Parlament als auch von Mitarbeitern der jeweiligen Agentur dafür kontaktiert werden kann. Das Satellitenzentrum der Europäischen Union (EUSC) soll künftig auch formal Informationen an die anderen EU Sicherheitsagenturen geben dürfen, sofern sie der Erfüllung der Aufgaben im Bereich der innereuropäischen Sicherheit dienen und darüber dem zuständigen Gremium des Europäischen Parlaments Bericht erstatten.
Die Vernetzung europäischer Nachrichtendienste muss nachvollziehbarer erfolgen. Auf europäischer Ebene soll die Koordination von Geheimdiensten künftig in einer eigenen Agentur mit Kontrolle durch das Europäische Parlament stattfinden. Darüber hinaus streben wir eine Vereinbarung zwischen den Mitgliedsstaaten zur Achtung der Grundrechtecharta für die Arbeit aller Nachrichtendienste in der Europäischen Union.