Warum wir einen echten Wettbewerbsföderalismus brauchen
Der bestehende Beteiligungsföderalismus der Länderregierungen ist Ausdruck einer den Status Quo begünstigenden Kompromißpolitik. Der politische Prozeß hinkt den Strukturveränderungen, die Technik und Wirtschaft im Wettbewerb hervorbringen, hinterher. Der durch den Beteiligungsföderalismus stets aufs Neue erforderliche politische Kompromiß macht zudem viele einfache Dinge unnötig kompliziert und unterdrückt den Wettbewerb der Problemlösungen.
Der Wettbewerbsföderalismus hingegen führt zu Neuem, zu Dynamik. Unter dem Druck des Wettbewerbs werden komplizierte Dinge vereinfacht. Beispiel Steuervereinfachung: Weniger politischer Kompromiß bedeutet weniger komplizierte Steuergesetze. Die Formel vom Wettbewerb als Entdeckungsverfahren auf den Bundesstaat angewandt bedeutet: Neue politische Wege können in den einzelnen Bundesländern erprobt werden, erfolgreiche Aufgabenlösungen können gefunden werden. Der Wettbewerb der Länder und Gemeinden ermöglicht den praktischen Vergleich zwischen verschiedenen Lösungen.
Wie ein echter Wettbewerbsföderalismus geschaffen werden kann
Reform der Finanzverfassung
Wesentliche Voraussetzung für einen echten Wettbewerbsföderalismus ist eine grundlegende Reform der Finanzverfassung, also der Artikel 104 a bis Artikel 115 und Artikel 91 a und b GG. Zu den wichtigsten Eckpunkten der Reform gehören:
Reform der Steuergesetzgebungskompetenz und Neuverteilung des Steueraufkommens
Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern eine Entflechtung der Steuerhoheiten. Das derzeitige Mischsystem muß einem transparenten Trennsystem weichen. Betroffen sind also insbesondere die Regelungen in Artikel 106 Abs. 6-8 und 107 Abs. 1 GG. Bund, Länder und Kommunen erhalten (wieder) klare Einnahmekompetenzen, d.h. die Gemeinschaftssteuern sind abzuschaffen: Den Ländern steht dann das Aufkommen aus den direkten Steuern (insbesondere Einkommensteuer, Körperschaftssteuer, Erbschaftssteuer), dem Bund das Aufkommen aus den indirekten Steuern (insbesondere Umsatzsteuer und Verbrauchsteuern) zu. Die Kommunen bestimmen weiter die Hebesätze bei den Realsteuern (Grundsteuer, Gewerbeertragssteuer – die alte liberale Forderung nach Abschaffung der Gewerbeertragssteuer gilt natürlich weiter) und erhalten das Aufkommen der Realsteuern. Der Gefahr konjunkturell bedingter Steuermindereinnahmen soll durch angemessene Rücklagenbildung entgegengewirkt werden. Der Bund erhält also für die den Ländern zustehenden Steuern nur eine Rahmengesetzgebung, so daß zwar die Besteuerungstatbestände weiter bundeseinheitlich geregelt werden, die Länder jedoch durch Festlegung von Hebesätzen den Steuertarif bestimmen können. Auch diese Regelung führt zu mehr Wettbewerb unter den Bundesländern.
Bei dieser Gelegenheit ist die Hydra bundesdeutscher Steuerarten um einige Köpfe zu kürzen. Auf Steuerarten, bei denen der Verwaltungsaufwand und die Erträge des Bundes bzw. der Länder in keinem finanzpolitisch sinnvollen Verhältnis stehen, kann der Staat getrost verzichten. Die Reduzierung der Steuerarten ist ein wesentlicher Beitrag zur Steuervereinfachung, der die Akzeptanz des Steuersystems erhöht und somit indirekt das Steueraufkommen sichert. Zu den überflüssigen Bagatellsteuern gehören nach Ansicht der Jungen Liberalen Baden-Württemberg: Rennwettensteuer, Sportwettensteuer, Totalisatorensteuer, Feuerschutzsteuer, Vergnügungssteuer, Lotteriesteuer, Getränkesteuer, Jagd- und Fischereisteuer, Kinosteuer, Hundesteuer und Schankerlaubnissteuer. Aber auch aufkommensstärkere „Luxus“-Steuern wie die Schaumweinsteuer und die Kaffeesteuer gehören abgeschafft. Nach Abschaffung der Teesteuer ist ohnehin nicht einzusehen, weshalb die Kaffeesteuer weiter bestehen soll.
Abschaffung des horizontalen Länderfinanzausgleiches
Was das Dogma der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse betrifft, so bedingt der Wettbewerbsföderalismus auch hier einen Paradigmenwechsel. Der Länderfinanzausgleich hat im Westen zu einer Konservierung der Strukturschwächen geführt und den Reformdruck in vielen Bundesländern verringert. Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg bekräftigen in diesem Zusammenhang ihre Forderung nach einer Abschaffung des Länderfinanzausgleiches, Artikel 107 Abs. 2 GG ist entsprechend zu ändern. Die Abschaffung des Länderfinanzausgleiches setzt – neben der Abkehr vom Dogma der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse – eine Neugliederung der Bundesländer voraus. Dabei soll der vertikale Finanzausgleich zunächst in reduzierter und vereinfachter Form für die neuen Bundesländer beibehalten werden. Allerdings werden nur noch 50 % des Betrages, der zum Bundesdurchschnitt fehlt, ausgeglichen.
Neugliederung der Bundesländer
Ein echter Wettbewerbsföderalismus kann nur funktionieren, wenn die Startbedingungen für die Konkurrenten mehr oder weniger gleich sind. Eine Neugliederung der Bundesländer, die zur Schaffung ähnlicherer Größe und Leistungsfähigkeit führt, wird unvermeidlich. Dabei sind sinnvolle und leistungsfähige Einheiten zu bilden, die schon heute wirtschaftlich und kulturell eng vernetzt sind.
Bei einer Länderneugliederung muß man sich von der momentanen Ländergliederung lösen. Die historisch und kulturell entstandene Länderaufteilung ist im Lichte der Notwendigkeiten des 21. Jahrhunderts zu überdenken. Regionen, die einheitlich gedacht werden, sind heute noch durch Ländergrenzen gespalten (z.B. Neu-Ulm, Ulm und Augsburg; Aachen, Eupen und Venlo).
Entscheidende Kriterien für die Neugliederung des Bundesgebietes müssen sein: zusammenhängende Wirtschaftsräume, zusammenhängende Verkehrsinfrastruktur, kulturelle Zusammengehörigkeit und einheitliche Naturräume – dem Gedanken des „Europa der Regionen“ folgend, auch über nationale Grenzen hinweg! Außerdem ist die Zahl der Länder auf ca. 10 zu reduzieren. Diese Kriterien ermöglichen eine flexiblere Planung als eine Neugliederung, die sich ausschließlich an bereits bestehenden Ländergrenzen orientiert. Die Umsetzung muß auf Bundesebene durch Parlamentsbeschluß erfolgen und bedarf der Zustimmung durch einen bundesweiten Volksentscheid.
Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg sind der Ansicht, daß durch die umfassende Neugestaltung sämtlicher Ländergrenzen auch die bestehenden gedanklichen und realen Barrieren zwischen Ost und West schneller beseitigt werden können. Wirtschaftliche Synergieeffekte und eine größere kulturelle Geschlossenheit werden wirtschaftliche und gedankliche Disparitäten verschwinden lassen. Zudem können Besteuerungsunklarheiten vermieden werden, da Arbeits- und Wohnorte wesentlich einheitlicher als bislang in ein und demselben Bundesland liegen werden. Danach kann der Länderfinanzausgleich wegfallen, der Weg zu einem echten Wettbewerbsföderalismus ist geebnet. Positive Nebeneffekte: Weniger Bundesländer brauchen weniger Parlamente und weniger Regierungen; das kostet weniger Geld und erhöht die Chancen auf Steuersenkungen und ausgeglichene Haushalte. Außerdem gleicht sich die Stimmenverteilung im Bundesrat an und wird gerechter. Die Instrumentalisierung des Bundesrates als Blockadeinstrument wird dadurch wesentlich erschwert.
Abschaffung der Artikel 91 a, b GG
Die Jungen Liberalen fordern eine Abschaffung der Artikel 91 a und b GG, die eine Mitwirkung des Bundes bei Ausbau und Neubau der Hochschulen, Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes vorsehen. Zum einen wird sich das Bedürfnis nach gemeinschaftlicher Bewältigung dieser Aufgaben durch Bund und (strukturschwache) Länder durch die hier befürwortete Neugliederung des Bundesgebietes erledigen. Zum anderen darf das System des Wettbewerbsföderalismus nicht mit Hilfe dieser Vorschriften von umverteilungssüchtigen Politikern und Bürokraten wieder ausgehöhlt werden.
Abschaffung komplizierter Mischfinanzierungen nach Artikel 104a Abs. 2-5 GG
Das Trennsystem auf der Einnahmenseite muß mit einer klaren Aufgaben- und Ausgabenzuweisung korrespondieren. Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern daher die Abschaffung komplizierter Mischfinanzierungen. Die Mischfinanzierung führt zu einem gefährlichen Transparenzverlust der Umverteilungs- und Finanzströme und zum Verlust klarer Verantwortungen. Die derzeit in den Bereichen Hochschulen, Wohngeld, Wohnungsbauförderung, Stadtsanierung bestehenden Mischfinanzierungen sind allesamt Aufgaben, die staatlicherseits am besten von den Ländern bzw. den Kommunen wahrgenommen werden können. Ziel des Wettbewerbsföderalismus ist es, den Gebietskörperschaften die Möglichkeit zu geben, in eigener Verantwortung ihre Probleme zu lösen. Dann muß aber auch der Grundsatz gelten, daß die Ebene, die die jeweilige Aufgabe verantwortet, auch die Finanzierung eigenverantwortlich regelt. Durch eine Entflechtung der Kompetenzen entsteht zudem mehr Transparenz und damit der Druck, das Ausgabeverhalten zu überprüfen und die Kosten staatlicher Leistungen zu reduzieren.
Mehr Gesetzgebungskompetenzen für die Länder
Als weitere wesentliche Voraussetzung des Wettbewerbsföderalismus müssen die Länder mehr Aufgaben zugewiesen bekommen. Die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes müssen also zu Gunsten der Länder reduziert werden. Die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes muß auf die Bereiche Verteidigung, Rechtsordnung, Menschenrechte und Außenpolitik beschränkt werden. Für die Umwelt, Wirtschafts- und Sozialpolitik soll der Bund die Rahmengesetzgebung erhalten. Insbesondere im Bereich der sozialen Leistungsgesetze kann durch mehr regionale Gestaltungsfreiheit die Eigenvorsorge- und Eigenverantwortlichkeit der Bürger erhöht werden, indem die Bedeutung der Abgabensysteme der sozialen Sicherheit reduziert wird.
Im Bereich der Schul- und Hochschulbildung muß die bundeseinheitliche Anerkennung der jeweiligen Abschlüsse auch in Zukunft gewährleistet werden. Nach Ansicht der Jungen Liberalen kann dies durch Staatsverträge geregelt werden. Gleichwohl bleiben die Jungen Liberalen Baden-Württemberg bei ihrer Forderung nach Abschaffung der Kultusministerkonferenz, denn für den Regelfall dürfen die Länderparlamente gerade im Bereich der Bildung nicht ihres Gestaltungsspielraums beraubt werden.
Mindestens ebenso wichtig wie die bundeseinheitliche Anerkennung ist jedoch die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bildung. Daß die bundesdeutsche Bildung international immer weniger Beachtung findet, ist ebenfalls Folge des deutschen Beteiligungs- und Kompromißföderalismus. Auch die Entstehung des neuen Hochschulrahmengesetzes hat plastisch gezeigt, daß im Bereich der Bildung das kompromißlastige Modell des Beteiligungsföderalismus nicht in der Lage ist, die notwendigen Reformen voranzubringen. Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern daher die absolute Bildungshoheit der Länder ohne bremsende Rahmengesetzgebung des Bundes – Artikel 75 Absatz 1 Nr. 1a GG ist daher ersatzlos zu streichen.
Die verstärkte Schaffung privater Hochschulen wie in Baden-Württemberg ist eine Entwicklung, die die Jungen Liberalen vorbehaltlos begrüßen. Internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Bildung darf jedoch nicht auf die privaten Hochschulen beschränkt sein. Positiver Nebeneffekt: Aus den neuen Gesetzgebungskompetenzen folgt eine Stärkung und Aufwertung der Landtage. Im Gegenzug ergibt sich die Gelegenheit zur weiteren Verkleinerung des Bundestages.
Wettbewerbsföderalismus und europäische Einigung
Auch auf europäischer Ebene gilt es, dem Gedanken des Wettbewerbsföderalismus Rechnung zu tragen. Der Wettbewerbsföderalismus entspricht geradezu idealtypisch dem europäischen Leitbild der Subsidiarität. Föderalismus und Wettbewerb sollten daher unserer Ansicht nach im Hinblick auf die Zukunft Europas grundlegende Elemente der europäischen Einigung sein. Aber auch, wenn die Länder nach unseren oben ausgeführten Vorstellungen mehr Gesetzgebungskompetenzen erhalten – das letzte Wort hat oftmals die Europäische Union. Deren Vertragspartner und Mitglied ist aber der Bund und nicht die Länder.
Der Gedanke des Wettbewerbsföderalimus, aber auch die Erweiterung sowohl der Zahl der Mitgliedstaaten als auch des gemeinsamen Aufgabenfeldes werfen die Frage nach der Organisationsform auf. Ein gemeinsamer Wirtschafts- und Währungsraum mit einer einheitlichen Innen- und Rechtspolitik, der gemeinsame Außen- und Sicherheitsinteressen verfolgt, sollte nach Vorstellung der Jungen Liberalen Baden-Württemberg als ein Staat – den Vereinigten Staaten von Europa – auftreten.
Innerhalb eines solchen Staates könnte die dritte europäische Ebene, also die Regionen, neben einem wirklich mächtigen europäischen Parlament eine entscheidende Rolle spielen. Stärker institutionalisiert und mit mehr Kompetenzen ausgestattet könnten die Regionen innerhalb der Europäischen Union ähnliche Funktionen wahrnehmen wie derzeit die Bundesländer in Deutschland.
Bei der geographischen Ausgestaltung der Regionen sollten jedoch nicht die neugegliederten Bundesländer als Ausgangsgröße herangezogen werden; vielmehr sollte das Europa der Regionen nationenübergreifend geplant werden.
Die Weiterführung der Idee des Wettbewerbsföderalismus auf europäischer Ebene ist also die Forderung nach einem neuen Leitbild der europäischen Politik. Ein Leitbild, das die Eigenständigkeit der dritten europäischen Ebene (also der Regionen) und die Bürgernähe von Entscheidungen stärker betont.