Das Ausscheiden der Freien Demokraten aus dem Deutschen Bundestag ist ein
gravierendes Alarmsignal an die Zukunft des organisierten Liberalismus in unserem
Land. Es ist unabdingbar, dass die FDP personelle, inhaltliche und strukturelle
Veränderungen anstreben muss, um in der Parteienlandschaft sichtbar zu bleiben.
Sowohl für aktuelle als auch neue Mitglieder muss ein attraktives Umfeld geschaffen
werden, um die programmatischen Ideen von morgen zu entwickeln.
Baden-Württemberg ist seit den Anfängen der Bundesrepublik ein stabiler Anker und
liberales Stammland für die Freien Demokraten. Dem daraus erwachsenen Anspruch können
wir jedoch nur gerecht werden, wenn wir uns als Liberale auch strukturell immer
wieder neu hinterfragen und uns nicht auf dem Status Quo ausruhen. Auch als Junge
Liberale werden wir uns kritisch mit unseren Strukturen auseinandersetzen und fordern
selbiges auch von den Freien Demokraten ein. Entsprechend unseres Anspruchs, die
Freien Demokraten kritisch-konstruktiv zu begleiten, fordern wir folgende
strukturelle Reformen für die FDP Baden-Württemberg:
1. Demokratische, transparente und partizipative Listenaufstellungen
Die Listenaufstellung für die Bundes- und Landtagswahlen bestimmt das Personal, das
die Freien Demokraten in die Parlamente entsenden. Dieser Prozess ist jedoch sehr
stark von Absprachen durch Bezirksverbände und daraus resultierendem Regionalproporz
geprägt. Wir sind davon überzeugt, dass die Gestaltung unserer Personalentscheidungen
durch mehr Transparenz und Partizipation eine bessere innerparteiliche Legitimation
ermöglicht und darüber hinaus auch mehr Qualität im Personaltableau schafft. Liberale
Schwesterparteien wie die NEOS in Österreich können uns hier als Vorbild dienen.
Darum fordern wir:
- Eine Online-Vorwahl für die Aufstellung der Landeslisten für Bundes- und
Landtagswahlen. Zur Vorstellung der Kandidierenden soll eine digitale Plattform
geschaffen werden, die für alle FDP-Mitglieder einsehbar ist und entsprechende
Unterstützung bekundet werden kann. Mit einer hinreichenden Anzahl an
Unterstützern wird ein Kandidierender zur Online-Vorwahl zugelassen, bei der die
Mitglieder bspw. über ein Punktevergabesystem über die Reihung der Liste – mit
Ausnahme der Spitzenkandidatur – abstimmen können. Dasselbe Verfahren erfolgt im
Landesvorstand. Über ein transparentes Kombinationsverfahren wird das Ergebnis
der Online-Vorwahl mit dem Votum des Landesvorstandes zu einem finalen Ranking
kombiniert. Das so zustande gekommene Ranking geht dann der jeweiligen
Landesvertreterversammlung als Vorschlagsliste zu. Wettbewerbskandidaturen
sollen dabei natürlich weiterhin möglich bleiben. - Volle Konzentration auf ein Mandat. Ein Mandat im EU-Parlament, Bundestag oder
Landtag sollte stets Vorrang vor anderen Mandaten und Parteiämtern haben. Daher
fordern wir von unseren hauptamtlichen Abgeordneten ein, dass sie ihre weiteren
politischen Ämter so ausgestalten, dass sie dem hauptamtlichen Mandat jederzeit
gerecht werden. Dabei sehen wir fachliches kommunalpolitisches Engagement in
Form von sog. “sachkundigen Bürgern” oder Ähnlichem als unkritisch an.
2. Moderne Arbeitsweise und Zusammensetzung des Landesvorstands
Eine moderne Parteiarbeit der FDP Baden-Württemberg braucht einen Landesvorstand, der
durch effiziente Strukturen, klare Zuständigkeiten und eindeutige Zielrichtung eine
Vorbildfunktion für die Untergliederungen übernimmt. Wir fordern daher:
- Eine Ehrenamtsgarantie im Präsidium. Zu einem Politiker oder einer Politikerin
wird man nicht erst durch Erringung eines Mandats. Für eine ganzheitliche
Vertretung der Partei sind auch die Perspektiven unserer ehrenamtlich
engagierten Parteimitglieder unerlässlich und müssen diese auch mit dem
entsprechenden Gewicht einbringen können. Wir fordern deshalb, dass mindestens
ein Viertel des Präsidiums rein ehrenamtlich Politik machen sollte. - Einen Landesvorstand als Arbeitsgremium. Jedes gewählte Mitglied des
Landesvorstands und des Präsidiums soll mit Antritt des Amtes einen klaren
Aufgabenbereich erhalten, indem er oder sie unter Mitsprache einem Ressort oder
einer Arbeitsgruppe zugeteilt wird. Die Arbeitsgruppen sollen an verschiedenen
Projekten zur inhaltlichen und strukturellen Weiterentwicklung der Partei
mitwirken und auch die Landesgeschäftsstelle im Rahmen der projektbezogenen
Aufgaben ehrenamtlich unterstützen. - Die Abschaffung der Kurfürsten und Säulenheiligen. Der 30-köpfige Landesvorstand
setzt sich unter anderem auch aus Posten zusammen, für die ein Vorschlagsrecht
der Bezirksverbände besteht – auch “Kurfürsten” oder “Säulenheilige” genannt.
Diese Regelung halten wir für aus der Zeit gefallen, da sie das Gremium
ineffizient aufbläht und in den parteiinternen Wettbewerb eingreift. Im Zuge
dessen fordern wir die Abschaffung der Kurfürsten sowie eine Reduzierung des
erweiterten Landesvorstands auf maximal 12 Personen. Das Präsidium soll die
Größe von 8 Personen beibehalten.
- Option A:
Hinreichende regionale Vielfalt soll künftig, wenn erforderlich, über Kooptierungen
aus den Bezirksverbänden sichergestellt werden.
- Option B:
Um die regionale Vielfalt zu erhalten, soll der erweiterte Landesvorstand (eLaVo)
nach jungliberalem Vorbild als eigenständiges Gremium in der Satzung der FDP Baden-
Württemberg etabliert werden. Jeder Bezirksverband entsendet in das Gremium eine
feste Anzahl an Delegierten mit Stimmrecht, die in ihrer Summe je nach Größe des
Landesvorstands ein Überstimmen der Landesvorstandsmitglieder ermöglichen. Der
erweiterte Landesvorstand dient als Kontrollgremium des FDP-Landesvorstands und berät
und entscheidet über grundsätzliche politische und organisatorische Fragen sowie
Anträge, die vom Landesparteitag nicht entschieden werden.
- Bewerbungsschreiben und Rechenschaftsberichte für den Landesvorstand. Alle
Bewerberinnen und Bewerber für den Landesvorstand sollen in einem vorgegebenen
Rahmen ein Bewerbungsschreiben oder -video veröffentlichen, welches auf einer
zentralen Kandidatenseite bereitgestellt wird. Dort sollen außerdem auch die
Rechenschaftsberichte aller gewählten Mitglieder am Ende einer Amtszeit
veröffentlicht werden. - Trennung zwischen Landesvorsitz und Generalsekretär/in von Fraktionsvorsitz oder
Ministerämtern. Wir fordern eine satzungsrechtliche Trennung des/der
Landesvorsitzenden und des Generalsekretärs oder der Generalsekretärin vom
Vorsitz der Landtagsfraktion sowie von einem Ministeramt auf Landes- und
Bundesebene. Die Anforderungen an diese Ämter sind zu unterschiedlich und der
Zeitaufwand zu hoch, um sie in einer Person zu vereinen. Zudem kann eine
Trennung dazu beitragen, die Wahrnehmung der FDP durch unterschiedliche Personen
zu erhöhen. - Weniger ist mehr – vor allem bei Ämtern. Jedes engagiert ausgeübte Vorstandsamt
und Mandat nimmt viel Zeit in Anspruch. Wer viele Ämter inne hat, wird im
Zweifel keinem gerecht werden können. Unsere Mitgliederzahl in Baden-Württemberg
ist stark genug, um Ämterhäufung zu vermeiden. Dort, wo es die örtlichen
Strukturen erlauben, soll das Amt der/des Vorsitzenden grundsätzlich nur in
einer Gliederung zeitgleich ausgeübt werden können. Auch eine Doppelbelastung
von parallel ausgeübten, hohen Ämtern in Partei- und Fraktionsvorstand sehen wir
kritisch.
3. Eine Partei, so vielfältig wie die Gesellschaft
Als Partei des Individuums ist Vielfalt Teil der liberalen DNA. Mit einer
Mitgliederbasis, die sich aus diversen Bevölkerungsgruppen zusammensetzt, kann die
FDP alle gesellschaftlich relevanten Interessen, Anliegen und Werte in ihrem
parteipolitischen Entscheidungsprozess leichter erkennen und aufnehmen. Daher fordern
wir:
- Mehr Angebote für weibliche Mitglieder. Sowohl quantitativ als auch in der
Repräsentanz von Frauen haben wir als liberale Parteienfamilie Aufholbedarf.
Dazu wollen wir bestehende Strukturen und Kooperationen mit den Liberalen Frauen
und der Friedrich-Naumann-Stiftung auf der Bundesebene stärker auch regional
ausbauen und mehr Vernetzung durch Mentor-Mentee-Plattformen schaffen. Die
Mentoren müssen in besonderer Weise durch integres Verhalten außerhalb und
innerhalb des Programms einen Vorbildcharakter gewährleisten. - Sensibilisierung und Ahndung von Fehlverhalten. Kein Mitglied der FDP soll
befürchten müssen, auf das Geschlecht, den Migrationshintergrund, die Sexualität
oder andere Merkmale reduziert zu werden. Auf gegenseitige Unterstützung und
deutlichen Widerspruch bei sexistischen Aussagen sowie auf konsequente Ahndung
von Fehlverhalten muss Verlass sein. Die zuständigen Ombudspersonen als
vertrauliche Ansprechpartner sollten präsent mit Kontaktdaten auf der Webseite
der FDP Baden-Württemberg auffindbar sein. Wir fordern die FDP außerdem dazu
auf, einen Code of Conduct zu erarbeiten, der die wesentlichen Grundlagen zu
Sprache, Verhalten und Darstellung der Freien Demokraten nach innen und außen
verschriftlicht, die zu einem respektvollen Umgang beitragen. - Eine Homepage und Inhalte für alle. Die FDP Baden-Württemberg richtet eine
barrierefreie sowie in leichter Sprache verfasste Kurzversion ihrer Homepage
ein. Diese muss über das Programm, die Organisation und die Geschichte der
Partei aufklären sowie Kontaktinformationen und ein Mitgliedsantragsformular
bereitstellen. Auch Landtagswahlprogramme sollten stets auch in leichter Sprache
sowie in mehreren Fremdsprachen zur Verfügung gestellt werden.
4. Parteistrukturen, welche die Potenziale ihrer Mitglieder heben
Partizipation ist eines der wesentlichen Merkmale der Demokratie. Die
innerparteilichen Strukturen müssen in der Lage sein, die Fähigkeiten und Bedürfnisse
möglichst vieler liberal denkender Menschen zu erkennen, sie zu fördern und aktiv in
unsere Programmatik einzubinden. Hierfür fordern wir folgende Rahmenbedingungen:
- Bedarfsgerechte Kostenerstattungen für Ehrenamtler. Das Engagement in einer
Partei muss für alle bezahlbar sein. Deshalb sollen die Kostenerstattungen und
Härtefallregelungen für Gremiensitzungen auf Landesebene über ein digitales und
transparentes System abgewickelt werden. Perspektivisch soll das System auch
Untergliederungen zur (freiwilligen) Nutzung zur Verfügung gestellt werden. - Eine Reform der Landesfachausschüsse zu partizipativen Gremien. Die LFAs sollen
zu Zentren der Kreativität und kollaborativen Ideenentwicklung werden.
Landesfachausschüsse fungieren darüber hinaus als wichtiger Bestandteil zur
Erarbeitung von Wahlprogrammen. Um das zu gewährleisten, schlagen wir eine
organisatorische Neugliederung vor: Die Landesfachausschüsse werden vom
Landesvorstand zu Beginn seiner Amtsperiode für deren Dauer eingerichtet und
thematisch strukturiert. In ihren konstituierenden Sitzungen wählen die LFAs
einen Vorsitz sowie bis zu drei Stellvertreter aus den Reihen der Teilnehmenden.
Die bisherige Entsendungspraxis auf Kreisebene wollen wir öffnen und allen
interessierten Mitgliedern die Aufnahme in einen LFA über eine direkte Anmeldung
auf der Homepage ermöglichen. Die Entwicklung von Inhalten soll dabei über
systematische und mehrgliedrige Vorgehensweisen erfolgen. Hierzu sind die
Leitungen der LFAs in agilen Methoden zu schulen. Aus Effizienzgründen sind die
LFA-Leitungen sowie die Landesgeschäftsstelle dazu angehalten, Sitzungstermine
der Fachausschüsse wo möglich lokal zu bündeln, um die Vernetzung innerhalb der
LFAs sowie der Mitgliederbasis zu fördern. LFA-Termine sollen mit einer
Tagesordnung transparent für die Mitglieder veröffentlicht und regelmäßig
beworben werden. - Online-Abstimmungen für Anträge nach dem Alex-Müller-Verfahren. Die gelebte und
erfolgreiche Praxis bei den Jungen Liberalen, die Antragsreihenfolge für alle
eingegangenen Anträge durch ein vorgezogenes Alex-Müller-Verfahren zu bestimmen,
soll auch auf Landesparteitagen der FDP zum Einsatz kommen. Leitanträge sind
dabei vom Verfahren ausgenommen. - Eine bessere Integration von Neumitgliedern. Über ein Patenschaftsprogramm
sollen neue Freie Demokraten ein Angebot zum unkomplizierten und sozialen
Kennenlernen des Verbandslebens erhalten. Alle Neumitglieder sollen darüber
hinaus nach ihrem Eintritt in Koordination mit den Kreisverbänden ein digitales
Willkommenspaket erhalten, in welchem Ansprechpersonen auf Kreis- und
Landesebene genannt werden und alle wichtigen Infos über das Engagement in den
FDP Strukturen enthalten sind. Zudem sollen hierzu in allen Untergliederungen
der FDP ab Kreisebene Neumitgliederbeauftragte benannt werden. - Bessere Vorbereitung und Unterstützung bei der Übernahme von Ämtern. Für die
Übernahme von Ämtern und Aufgaben ab Orts- und Kreisebene sollen ausführliche
Leitfäden über die Aufgaben und Best-Practices beispielsweise über das
parteiinterne Confluence mit Wiki zur Verfügung gestellt werden. - Neu gewählte Kreisvorsitzende erhalten im ersten Amtsjahr auf eigenen Wunsch
einen „Kreis-Paten“ aus dem Landesvorstand, der bei Rückfragen zur Verfügung
steht. Der Landesvorstand muss die neu gewählten Kreisvorsitzenden nach
Amtsübernahme proaktiv über dieses Angebot informieren. So können wir sichern,
dass unsere ehrenamtlichen Kreisvorsitzenden sich nicht alleine gelassen fühlen
und die Wertschätzung erfahren, die Ihnen gebührt.
Der Antrag hat eine Gültigkeitsdauer von fünf Jahren.