[Juliette 1/2021] Der Spitzenkandidat Uli Rülke im Interview

Wie geht es Ihnen in der aktuellen Zeit?

Wahlkampfzeiten sind immer auch Stresszeiten. Dieser Wahlkampf ist ganz besonders, weil der direkte Kontakt zu den Menschen fehlt. Es geht mir aber persönlich so weit gut, und ich hoffe, dass wir gemeinsam den Wahlkampf erfolgreich zu Ende bringen.

Wie hat Covid-19 ihre Arbeit im Landtag verändert?

Die Corona-Pandemie hat die politische Arbeit im Landtag genau wie Ihre politische Arbeit vor Ort verändert – „digital“ wurde in vielen Fällen zum neuen „normal“.

Wie schätzen Sie das Handeln der aktuellen Regierung währen Corona ein?

Die Corona-Krise offenbarte neben Stückwerk auch viele Uneinigkeiten und Abstimmungsdefizite in der Regierung Kretschmann: Ob bei Streitigkeiten zwischen der konservativen Wirtschafts- ministerin Hoffmeister-Kraut und dem grünen Sozialminister Lucha über die von uns geforderte Möglichkeiten von „Click and Collect“ im Einzelhandel oder bei der Frage von Schulschließungen und/oder Präsenzunterricht. Hilfszahlungen für betroffene Unternehmen blieben zu lange aus; Städte, Kreise, Gemeinden, öffentliche Einrichtungen und insbesondere Schulen konnten sich angesichts der Spontaneität, Kurzfristigkeit und fehlenden Transparenz der Corona-Regeländerungen meist nur unzureichend auf deren Umsetzung vorbereiten. Aktuell zeigt das Chaos bei der Terminvergabe für die Corona- Impfungen einmal mehr das Ausmaß der Überforderung des Sozialministers Lucha. Statt ein smartes Pandemiemanagement mit langfristigen, wirksamen Strategien zur Minimierung des Infektionsrisikos einerseits und moderaten Öffnungs- perspektiven für Ehrenamt und Wirtschaft anderseits zu entwickeln, bediente sich die Landesregierung im ‚Stop and Go‘-Modus mit den bekannten Instrumenten von Lockdowns, Ausgangssperren und faktischer Berufsverbote.

Die mit dieser Schrotflintenpolitik verbundene fehlende Planbarkeit und Effektivität zerrüttete bei vielen Bürgerinnen und Bürgern das Vertrauen in die politischen Akteure und deren Maßnahmen – genau dieses Vertrauen ist aber zwingend notwendig um die gesamtgesellschaftliche Herkulesaufgabe der Coronakrise zu meistern. Ein oft fernab von parlamentarischer Debatte eingeschlagener Schlingerkurs bei der COVID-19-Eindämmung ist das beste Konjunkturprogramm für „Querdenker“ und andere Extreme, die unter dem Deckmantel der Ablehnung von Corona- Maßnahmen unser freiheitliches Staatswesen torpedieren wollen – eine Gefahr, die eine Landesregierung nicht auf die leichte Schulter nehmen darf.

Wie würde die FDP die Corona-Pandemie in Baden-Württemberg bekämpfen, wenn sie regieren würde?

Wir würden unsere Forderung nach einer langfristigen Strategie zur Pandemie- bekämpfung verfolgen, es muss Schluss sein mit „Stop and Go“ und fehlender Verlässlichkeit. Wir brauchen einen effektiven Schutz vulnerabler Gruppen, eine funktionierende, möglichst viele Menschen im Land erreichende Impfstrategie und Öffnungsperspektiven für Wirtschaft, Kultur, Sport und Ehrenamt. Das wären Prioritäten der FDP in einer Landesregierung.

Was hat die FDP konkret während der Krise im Landtag beitragen können?

Nun, als Opposition lässt sich ja bekanntlich leicht meckern, und so wird uns vielfach vorgeworfen, nichts zur Lösung der Krise beizutragen. Hier verweise ich gerne auf die vielen von uns eingebrachten Initiativen und Entschließungsanträge u.a. zuletzt zur Pandemiebekämpfung mit konkreten

Forderungen nach einer Protektions- strategie mit Ausstattung von Schnelltests und Schutzmasken für vulnerable Gruppen, Fernunterricht statt vorgezogener Ferien für Schülerinnen und Schüler ab Klasse 8, Installation von Luftfilteranlagen in Klassenzimmern und weiteren konkreten Maßnahmen, beispielsweise dem Gesetzentwurf „digitale Schule“. Auch wenn unsere Entschließungsanträge von den Regierungsfraktionen abgelehnt wurden, so werden wir uns im Landtag weiterhin konstruktiv und engagiert dafür einsetzen, dass unser Land der Pandemie Herr wird – mit einer langfristigen wirksamen und gleichwohl Freiheitsrechte der Bürger wahrenden und Wirtschaftskraft sichernden Strategie.

Was ist Ihr Ziel bei der kommenden Landtagswahl?

Vor uns liegen Wochen, in dem es für die Freien Demokraten um vieles geht. Die jüngsten Wahlprognosen zeigen: Es besteht eine realistische Chance, dass unsere Partei nach einem Jahrzehnt der Oppositionsarbeit erneut Regierungsverantwortung für unser Land übernehmen kann. Diese Chance wollen wir nutzen, um Baden-Württemberg wieder voranzubringen – denn ein politscher Aufbruch, ein Abschütteln des grün-schwarzen Mehltaus, der sich über unser Land gelegt hat, ist zwingend notwendig: Wir brauchen einen Impuls fürs Land! Die FDP will mitregieren.

Klimaschutz ist wohl das Thema der jungen Generation – wie sieht da die liberale Strategie aus?

Klimaschutz ist ein wichtiges Thema, wir Freien Demokraten stehen zum gemeinsamen Klimaziel der EU-Staaten. Effektiver Klimaschutz kann aber nur mit einer starken Wirtschaft und innovativen Technologien gelingen, nicht mit planwirtschaftlichen Instrumenten und plumpen Verbotsstrategien. Die Landesregierung hat gezeigt, dass sie beim Klimaschutz nicht besser performt als in anderen Politikfeldern: das grün- schwarze Klimaschutzgesetz für Baden- Württemberg ist alles andere als ein großer Wurf – oder wie Umweltminister Untersteller behauptet, ein „Aushängeschild baden-württembergischer Politik“.

Beim Klimaschutz spielt insbesondere der Strukturwandel in der für unser Land wichtigen Automobil-industrie eine Rolle: die Frage nach umweltfreundlicher Mobilität ist wichtig und richtig. Aber es gilt einen Strukturbruch, der massenhaft Arbeitsplätze in Baden-Württemberg kostet, zu verhindern. Die Transformation in der Automobilindustrie ist für das Land und damit für uns die Zukunftsfrage des Jahrzehnts.

Baden-Württemberg muss alles dafür tun, sich dem schädlichen Kurs der EU- Kommission entgegenzustellen, die mit verschärften Klimazielen diesen unseren Standort abwürgen wird. Und wir brauchen echte Klimafreundlichkeit mit dem Verbrennungsmotor: Gegenüber der batterieelektrischen Mobilität garantiert er eine größere Reichweite und mehr Flexibilität. Er erhält aufgrund seiner Fertigungstiefe und aufgrund unserer technologischen Kompetenz weitaus mehr Arbeitsplätze. Und er ist auf seinen Lebenszyklus hin betrachtet umweltfreundlicher, wenn man die wahre CO2-Bilanz einfließen lässt. Deshalb liegt die Zukunft des Verbrennungsmotors in synthetischen Kraftstoffen und im Thema Wasserstoff.

Welche Rolle spielt Wasserstoff dabei?

Das Thema Wasserstoff ist überhaupt das zweite große Zukunftsfeld für uns. Wer die Energie- und Verkehrswende bei Einhaltung der Klimaziele erreichen möchte, kommt um das Thema Wasserstoff nicht herum. Denn es wird notwendig werden, Energieträger dort zu nutzen, wo sie Sinn machen. Wir brauchen die Wasserkraft, beispielsweise in Skandinavien. Wir brauchen die Windkraft, on-shore oder off-shore am oder im Meer. Und wir brauchen Projekte wie Desertec, wo Sonnenergie im Süden, dort wo die Sonne scheint, produziert wird. Und dann müssen wir diese erneuerbaren Energien in grünen Wasserstoff umwandeln und den Wasserstoff dann am Ende dorthin bringen, wo er gebraucht wird.

Ein Dauerthema bei der FDP ist die Digitalisierung: Was können wir in diesem Bereich noch verbessern?

Im Bereich Digitalisierung ist das Regierungsversagen im Land besonders offenkundig – das Mobilfunknetz im Land ist löchriger als ein Schweizer Käse, die (In- )Kompetenzen für Teilbereiche der Digitalisierung sind verschiedenen Ministerien ohne gemeinsame Strategie verteilt, und Schulen, Hochschulen und öffentliche Einrichtungen wurden unzureichend auf die schon längst vor Corona bekannten digitalen Herausforderungen vorbereitet. Auch der aktuelle Gesetzentwurf zur digitalen Verwaltung ist viel zu zaghaft – hier muss deutlich mehr Tempo und Entschlossenheit an den Tag gelegt werden. Aktuell streiten sich beim Thema Digitalisierung vier Ministerien. Wir stehen dafür, die Zuständigkeiten solch zukunftsrelevanter Themen in einem Ministerium für Digitalisierung mit den notwendigen Kompetenzen und Durchgriffsrechten zu bündeln. Ferner wollen wir E- Government-Services ausbauen, die Potenziale von KI und Algorithmen in der Verwaltung verstärkt nutzen und stehen zum klaren Infrastrukturziel „flächendeckendes Glasfasernetz“, also Glasfaser bis in jedes Gebäude. Auch dem Schließen von Funklöchern, die es nahezu überall im Land gibt, muss Priorität zukommen.

Als Schüler, Studierende und Azubis sind die meisten JuLis direkt mit dem Bildungssystem konfrontiert. Was muss aus Ihrer Sicht hier besser werden?

Im Bereich Bildung ist Baden-Württemberg unter Führung von Kultusministerin Eisenmann in allen relevanten Rankings abermals zurückgefallen. Und während der Corona-Zeit wird diese mangelhafte Bilanz umso deutlicher: Die Digitalisierungsmöglichkeiten der Schulen bleiben weit hinter den Anforderungen zurück, die digitale Lernplattform selbst bleibt Flickwerk und die Schulen sind nicht ausreichend ausgerüstet, etwa mit Luftfiltergeräten oder passenden Masken. Die Schulbildung unserer Kinder hängt aktuell mehr denn je vom Elternhaus ab – das Bildungssystem ist damit alles andere als gerechter geworden.

Diese Entwicklungen müssen wir durchbrechen. Es bedarf eines Kraftakts für weltbeste Bildung, um Baden- Württemberg wieder an die Spitze zu führen. Die Entwicklung der Rankings zeigt, dass wir mit unserer Forderung nach einem vielfältigen und differenzierten, aber gleichzeitig durchlässigem Schulsystem anstatt einem Einheitsschulwesen richtig liegen. Die Rückkehr zur verbindlichen Grundschulempfehlung ist hierbei für uns ein wichtiger Baustein. Wir brauchen nicht die eine Schule für alle, sondern wir brauchen für jedes Kind die richtige Schule – die Privilegierung der Gemeinschaftsschulen ist daher zu beenden. Zudem brauchen wir eine Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung. Auch digitale Bildung spielt für die Zukunft unseres Bildungssystems eine entscheidende Rolle: hier verweise ich auf unsere Forderungen nach einer IT-Ausstattung der Schulen auf Höhe der Zeit oder der verstärkten Vermittlung von Medien- und Digitalkompetenzen im Schulunterricht. Schulen brauchen „digitale Hausmeister“ und Verwaltungsassistenten, sodass sich Lehrkräfte statt lästiger Sonderaufgaben auf das konzentrieren können, was sie am besten können: guten Unterricht anbieten.

Was muss sich im Bereich des Arbeitsmarktes ändern?

Der Arbeitsmarkt braucht endlich ein zeitgemäßes Einwanderungsgesetz. Diejenigen sind bei uns herzlich willkommen, die Fähigkeiten haben, die leistungsbereit sind und die unsere Spielregeln beachten. Und wenn ein Flüchtling bereits hier ist und diese Voraussetzungen erfüllt, dann wollen wir ihm auch den Spurwechsel ermöglichen. Aber diejenigen, die nicht leistungsbereit sind, die nicht an unserem Wohlstand mitwirken wollen und die unsere Spielregeln nicht akzeptieren, die müssen auch wieder gehen.

Wie sehen Sie ihre Chancen in der kommenden Wahl?

Ich bin mir sicher: unser Land hat eine bessere Regierungsperformance verdient – das spüren die Menschen. Die letzten Umfragen zur anstehenden Landtagswahl stimmen mich positiv, dass die Menschen im Land uns eine Mitwirkung an einer Regierung zutrauen und in uns den Impulsgeber sehen, um Baden- Württemberg im Bereich Bildung, Wirtschaft, Digitalisierung und vielen weiteren Themenfeldern voranzubringen.

Dieser Wahlkampf wird anders sein alle bisherigen – worauf kommt es aus Ihrer Sicht jetzt ganz besonders an?

Sicherlich fehlt in Pandemiezeiten der Kontakt zu den Menschen, der Wahlkämpfe sonst auszeichnet. Viele klassische Wahlkampfformate können nicht stattfinden – mehr denn je kommt es daher darauf an, auch online und in den sozialen Medien viele Bürgerinnen und Bürger mit unseren Botschaften und Formaten zu erreichen. Trotzdem denke ich, sollten wir auch in diesen Tagen das persönliche Gespräch im kleineren Rahmen nicht vernachlässigen, um Wählerinnen und Wähler zu überzeugen.

Zudem gilt, was in jedem Landtagswahlkampf gilt: der Erfolg bei der kommenden Wahl hängt sicher nicht allein am Spitzenkandidaten, sondern eine erfolgreiche Landtagswahl in Baden- Württemberg ist eine Teamleistung der 70 örtlichen Erst- und Zweitkandidaten im ganzen Land. Ich bitte Sie daher, Ihre Landtagskandidaten und Landtagskandidatinnen vor Ort und in den Nachbarwahlkreisen mit ganzer Kraft zu unterstützen – digital wie analog. Für Ihren persönlichen Einsatz danke ich Ihnen schon jetzt.

Ich freue mich auch darauf, wenn wir die aktuell verpassten persönlichen Kontakte im Laufe des kommenden Jahres nachholen können!