[Juliette 2/2020] Technologie im Wandel

Warum bei der digitalen Transformation „Angst“ kein falscher Ratgeber ist

Unsere Gesellschaft ist seit dem Beginn der Aufklärung einem immer schneller werdenden technologischen Wandel unterworfen. Am Anfang waren es noch einzelne Innovationen, die aber eine große Wirkung entfalteten, wie bspw. die Erfindung der Dampfmaschine, die die industrielle Revolution nach sich zog. Die Elektrizität brachte Licht ins Dunkel, machte aber auch die Nachtwächter, die die Gaslaternen anzündeten, arbeitslos. Mit der elektrischen Signalübertragung in Telegraphen wurde der erste Schritt in Richtung der Informationsgesellschaft, in der wir uns heute befinden, gegangen.

Heute hat der technologische Wandel ein rasendes Tempo angenommen und selbst Nerds verlieren schnell den Anschluss bei den Neuerungen. Zu Beginn meines Maschinenbau-Studiums im Jahr 2009 hatte kaum jemand ein Smart Phone (das iPhone gab es erst seit zwei Jahren). Die IT wurde zwar als wichtig empfunden, aber noch 2009 konnte keiner so Recht daran glauben, dass wir schon ein Jahrzehnt später neben einem Smart Phone, eine Smart Watch, einen smarten Staubsauger und ein Wohnzimmer mit Sprachsteuerung haben (können). An Apps, wie Uber, Mytaxi, Tinder oder runtastic hat keiner gedacht. Das, was im privaten Bereich Spielereien sind, hat auch die Arbeitswelt vollständig verändert. Schon heute sind die Grundlagen der Arbeitsorganisation, die ich gelernt habe, völlig veraltet. Selbst ich als technikaffiner Ingenieur und Digitalpolitiker weiß manchmal nicht, wie man manche digitale Neuerung sinnvoll einsetzen kann oder was ich davon halten soll.

Diesen rasanten Fortschritt bewerten wir Liberale in der überwiegenden Mehrheit dennoch positiv, denn wir sind zukunftsoffen und verharren nicht in gesellschaftlichen Denkmustern und begrüßen den Wandel als Chance zur Verbesserung unserer Freiheiten und der Gesellschaft.

Jedoch macht die atemberaubende Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts vielen Menschen Angst. Schon immer war auch Angst ein ständiger Begleiter jeder Innovation. In den Jahrhunderten vor der Aufklärung dominierte die Angst vor Herrschaftsverlust durch Fortschritt, was, vor allem getrieben durch die Kirche, jede Innovation unterband. Selbst in der Moderne gab es Angst, die Fortschritt hemmte: Wissenschaftler behaupteten, man könne nicht schneller als 30 km/h mit einer Dampflokomotive fahren, da diese für Menschen unnatürliche Geschwindigkeit zu Panik und letztlich zum Tod führen würde. Fotoapparate wurden als „Seelenfänger“ wahrgenommen. Die Grünen machten Angst vor dem Videotext im Fernseher und wollten diesen verbieten, da sie befürchteten dieser würde zur Vereinsamung der Gesellschaft führen.

Heute lachen wir angesichts weiterer Aufklärung und vor allem Bildung über diese Aussagen. Dennoch ist eine gewisse Angst – oder besser Skepsis – vor den Neuerungen unserer Zeit nicht unangebracht. Denn im Gegensatz zu den Erfindungen im analogen Zeitalter, die vor allem die Produktivität und den Lebensstandard erhöhten, bergen digitale Technologien das Potential die Gesellschaft, samt ihrer Umgangsformen, komplett auf den Kopf zu stellen.

Mit Sorge betrachte ich dabei die Politik, die mit ihren analogen Arbeitsweisen und Prozesszyklen mindestens ein Jahrzehnt hinter dem technologischen Fortschritt hinterherhinkt und weiter an Abstand verliert. Das macht mir vor allem deshalb Sorgen, weil die theoretisch unendliche Verfügbarkeit an Daten – an personenbezogenen Daten – den gläsernen Bürger schaffen kann und schon geschaffen hat. Schlimmer als in den kühnsten Überwachungsstaatängsten der Liberalen, kann der Mensch durch gezielten Einsatz von Big Data und KI sogar gesteuert werden und das von Unternehmen ohne demokratische Legitimation und nicht von Staaten.

Diese Angst teilen – völlig zu Recht – viele Menschen. Darum liegt es an uns, aus der Emotion eine gesunde Skepsis zu machen, die uns dazu verleitet, die Politik und ihre Arbeitsweisen zu modernisieren und anzupassen, an eine digitale Welt. Denn nur, wenn der demokratische Staatsapparat diese neue „Technologie“ auch lebt, kann er diese verstehen und die nötige Vorsorge treffen: Anpassung der Gesetze und Rechtsprechung, mehr Augenmerk auf Datenschutz, Gestalten des digitalen Wandels, statt gestaltet zu werden, Vorbereitung auf die Transformation des Arbeitsmarkts.

Die berechtigten Ängste, auch die vor Jobverlust, dürfen nicht dazu führen, dass wir die digitale Transformation verweigern oder ausbremsen, wie es manche bewusst oder unterbewusst wollen. Fakt ist aus meiner Sicht, dass dieser disruptive Wandel stattfindet, ob wir das persönlich wollen oder nicht. Trotzdem können wir den Wandel so gestalten, dass er in unserem Sinne geschieht. Ängste kann man vor allem nehmen, indem man sich handlungsfähig und wehrhaft zeigt. Mit der DSGVO haben Bürgerrechtler erstmals eine Gegenwehr entwickelt. Viele weitere solcher Mittel müssen noch entwickelt werden. Bei alledem muss ein Credo in der Mitte stehen: Die Digitalisierung nutzt den Menschen und der Mensch hat die Hoheit über seine Daten. Angst ist manchmal eben doch ein guter Ratgeber.


Daniel Karrais ist Mitglied des Landtags und Sprecher der FDP/DVP-Fraktion für Energiewirtschaft, Digitalisierung, Naturschutz und Bundeswehr.