[Juliette 3/2018] – Haben wir morgen noch Arbeit?

Als Liberale sind wir ja Berufsoptimisten. Egal wo, für uns gilt im Zweifel das rheinische Grundgesetz: „Et es wie et es, et kütt wie et kütt, et hätt noch emmer joot jejange und et bliev nix wie et wor“.

Es bringt oft wenig, sich über die Zukunft oder darüber, was andere tun sollen, übermäßig Gedanken zu machen. Denn im Zweifel wissen die Menschen selbst am besten, was sie brauchen und wollen.

Oder auf Hochdeutsch: Das regelt der Markt.

Bei der Frage, inwiefern es in der schönen neuen Welt der Digitalisierung für breite Bevölkerungsschichten noch die Notwendigkeit auf der einen Seite, aber auch die Möglichkeit auf der anderen Seite gibt, zu arbeiten, bin ich mir da aber nicht so sicher. Wir sind evolutionär darauf konditioniert, etwas zu tun. Arbeit ist für viele Menschen sinnstiftend oder hält sie doch zumindest davon ab, auf dumme Gedanken zu kommen. Wer nichts zu tun hat, wird sehr viel häufiger depressiv – egal ob als Langzeitarbeitsloser oder im Seniorenheim.

Man kann hier natürlich anführen, dass bisherige technologische Fortschritte und Umbrüche trotz anderslautender Unkenrufe nie dazu geführt haben, dass es keine Jobs mehr gab – sie haben sich lediglich verändert. Das findet beispielsweise auf FDP-Parteitagen geradezu mantraartig statt. Ob Weberaufstand 1844 oder Automatisierung der 1970er: Bisher hatten die Pessimisten immer Unrecht.

Das bedeutet aber noch nicht, dass es diesmal wieder so sein wird. Als Augenöffner empfehle ich die Kurzdoku „Humans need not apply“. Der geniale CPG Grey, der unzählige sehenswerte Videos produziert hat, nimmt hier in genau 15 Minuten jede dieser Vermutungen auseinander, jede implizite Annahme, mit der wir uns die digitalisierte Arbeitswelt schönmalen.

Das fängt mit der Idee an, dass man schon noch immer irgendwie menschliche Arbeitskraft brauchen wird. Warum eigentlich? CPG Grey nimmt als Beispiel zwei Pferde, die den technologischen Fortschritt durch das Auto kritisch betrachten. Doch eines der Pferde erinnert daran, dass bisher technologischer Fortschritt die Pferde nie überflüssig gemacht hat, sondern im Gegenteil das Leben als Pferd insgesamt besser. Das nennt man den induktiven Fehlschluss: Es war immer so – bis es nicht mehr so war. In diesem Fall: Nie wieder. Ohne nun den Pferdliebhabern zu nahe treten zu wollen: Pferde wurden im Wesentlichen einfach überflüssig. Ein paar werden noch gehalten, aber massiv weniger als noch vor 100 Jahren.

Eine andere implizite Annahme ist, dass Bildung uns schützen würde – Muskelkraft ist leicht zu ersetzen, aber Bildung? Diese Annahme hat sich seit Beginn der industriellen Revolution, verstärkt durch die Automatisierung, immer weiter verbreitet. Doch schon heute sind computergestützte Diagnosen genauer als die der meisten Ärzte, autonome Fahrer bauen weniger Unfälle als Menschen und Anwaltssoftware kann mehr Dokumente schneller durchforsten als jeder noch so motivierte Jurist. Es gibt selbst Kunst, die von Robotern produziert wird.

Natürlich kann menschliche Nähe kaum ersetzt werden, viele soziale Dienstleistungen werden also wahrscheinlich eine Zukunft haben – auch wenn das älteste Gewerbe der Welt sich bereits einer gewissen Konkurrenz durch „intelligente, realitätsgetreue“ Puppen ausgesetzt sieht.

Aber sonst? Sind wir gefangen in unserer Arroganz und mentalen Blockade. Irgendwann wird die Diskussion uns aber überrollen. Wir sollten uns darauf vorbereiten.

„Was tun?“, spricht Zeus.

Ein Anfang wäre das liberale Bürgergeld und eine deutliche Flexibilisierung von Arbeitsformen. Doch ob das reicht? Werden wir uns dauerhaft einer Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen entziehen können? Und was werden die Menschen mit ihrer Zeit machen?

Bezüglich letzterem bin ich ehrlich gesagt weniger pessimistisch. Vergleicht man historisch beispielsweise maritime Gesellschaften mit landwirtschaftlich geprägten, so war der Aufwand des Fischens deutlich geringer. Die freie Zeit nutzten die Menschen für Kunst und Kultur – und Sex. Vielleicht ist das einfach eine Kunst, die speziell wir Deutschen dann lernen müssen: Der gepflegte Müßiggang. Eine andere Form von Freiheit. Vielleicht ist die Zukunft gar nicht so schlecht wie ihr Ruf, selbst dann, wenn wir große Umbrüche vor uns haben. Vielleicht, ja vielleicht haben wir wirklich das Beste noch vor uns.


Roland Fink ist stv. Landesvorsitzender für Programmatik