[Juliette 4/2019] – Die EZB – Wieso politische Unabhängigkeit so wichtig ist

Manchmal kann man sich ja von der Schnelllebigkeit des deutschen Nachrichtenzyklus doch etwas überfordert fühlen. Kaum ein Thema kann sich neben den beiden thematischen Giganten Klima und Migration länger als ein paar Wochen halten, um dann auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Da ist es ja fast Balsam für die von der Nachrichtenvolatilität geplagte deutsche Volksseele, dass es ein Thema gibt, das mit der Zuverlässigkeit einer Schwarzwälder Kuckucksuhr regelmäßig wieder den Sprung in die Schlagzeile schafft: Die EZB-Schelte. Angebliche Sparerenteignung, unverantwortliche Geldschwemme, gezielte Zerstörung der deutschen Wirtschaft. Kaum ein Vorwurf bleibt der EZB und vor allem Mario Draghi, ihrem scheidenden Präsidenten, erspart. Die Bild-Zeitung bildete ihn sogar auf ihrer Titelseite als Vampir ab, der uns buchstäblich das Geld aussaugen würde. Nun, man könnte das als klickgenerierendes Aufregermaterial der Zeitungen abtun und das altbekannte populistische Heulen der sowieso europafeindlichen AfD zu diesem Thema einfach ignorieren. Aber leider ist der EZB-Bashing-Reflex nicht auf diese Akteure beschränkt. Politiker der Union und der FDP sind oft die ersten, die Entscheidungen der unabhängigen EZB kritisieren, und zu wissen meinen, was genau in der Geldpolitik zu machen sei. Und das ist ein echtes Problem.

Zum einen ist es fast schon surreal, wenn Politiker, die selbst meist nicht aus dem Feld kommen, meinen, sie hätten Geldpolitik besser verstanden als Wissenschaftler, die seit Jahrzehnten zu diesem Thema forschen. Man stelle sich vor, Kevin Kühnert ginge in ein Kernkraftwerk und würde den Ingenieuren dort erklären, wie sie den Reaktor zu bedienen hätten. Genauso verhält es sich mit den Forderungen von empörten Politikern an die europäische Zentralbank. Denn Geldtheorie gehört nicht nur zu den komplexesten Teilgebieten der Ökonomie, die Planung und Durchführung von geldpolitischen Operationen erfordert auch extrem weitreichendes Fachwissen und jahrelange Erfahrung.

Nun gut, könnte man sagen, Politiker lassen sich regelmäßig über Themen aus, von denen sie augenscheinlich keine Ahnung haben. Der oben erwähnte Kevin Kühnert ist dafür ein Paradebeispiel. Warum soll jetzt beim Thema Geldpolitik ein anderer Standard gelten? Der fundamentale Unterschied zu anderen Politikfeldern ist ganz einfach, dass Geldpolitik, und die EZB als ihr ausführendes Organ, qua der europäischen Verträge unabhängig von politischer Einflussnahme ist. Die EZB kann so operieren, wie sie es für richtig erachtet, solange sie ihre internen Entscheidungsmechanismen einhält und innerhalb ihres Mandats bleibt. Zu entscheiden, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind oder nicht, liegt nicht im Ermessenspielraum von Parlamenten, sondern muss im Zweifelsfall von den Verfassungsgerichten geklärt werden. Die Politik kann bloß durch die Nominierung und Ernennung von Kandidaten für entsprechende Posten innerhalb der EZB oder ihres nationalen Zentralbanksystems indirekt Einfluss auf die Geldpolitik nehmen. Aber auch hier war es lange gute Tradition, eher auf Fachkompetenz als auf Zugehörigkeit zu einem bestimmten politischen Lager zu achten.

Aber warum geben wir die Kontrolle über so ein wichtiges Politikfeld komplett aus der Hand unserer Volksvertreter? Warum sind Zentralbanken unabhängig? Wie die meisten Leser wahrscheinlich wissen, haben wir in Deutschland und Europa, wie fast überall auf der Welt, ein Fiat-Geldsystem. Das heißt, für das Geld, mit dem wir handeln, ist kein realer Wert hinterlegt. Nirgendwo kann man einen Euro garantiert gegen eine bestimmte Menge Gold, Silber oder meinetwegen Gummibärchen eintauschen. Das System funktioniert allein durch das Vertrauen der Bürger in den Staat. Und es ist ein verhältnismäßig gutes System. Mit dieser Art von Geldwirtschaft kann konjunkturellen Schocks effektiv entgegengewirkt werden, sind Zahlungsbilanzprobleme in modernen Industrienationen Geschichte und ist eine recht genaue Steuerung der Inflation möglich. Also ein perfektes System? Nicht ganz, denn dadurch, dass dem Geld der intrinsische Wert fehlt, kann unendlich viel davon erschaffen werden, ob jetzt physisch oder digital. Das ist grundsätzlich kein Problem solange diese Eigenschaft nicht missbraucht wird. Aber dadurch entsteht leider auch ein Anreiz für Regierungen, Staatsausgaben über das Erschaffen von Geld zu finanzieren, anstatt unpopuläre Maßnahmen wie Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen zu ergreifen. Die Regierung weist also die Zentralbank an, Geld zu drucken, um damit zum Beispiel Staatsanleihen zu kaufen. Die Geldmenge steigt, natürlicherweise steigt ebenso die Inflation. Im schlimmsten Fall kann es zu einer Hyperinflation kommen, wie man sie etwa momentan in Venezuela beobachten kann, wo ein Bolivar, die lokale Währung am Ende des Jahres 2018 nur noch ein achthundertstel seiner Kaufkraft zu Jahresbeginn 2018 hatte. Das heißt von dem Geld von dem ich mir in Venezuela im Januar 800 Brote kaufen konnte, konnte ich mir im Dezember nur noch ein Brot kaufen. Man muss kein Wirtschafswissenschaftler sein, um zu erkennen, dass so eine Volkswirtschaft zum Erliegen kommt.

Und genau deshalb gibt es die Brandmauer der Zentralbankunabhängigkeit. Wenn Politiker keinen Einfluss auf die Geldpolitik haben, entsteht auch nicht der Fehlanreiz durch Gelddrucken kurzfristig den Staatshaushalt zu finanzieren. So kann man bürger- und wirtschaftsschädliche übermäßige Inflation verhindern. Für dieses Prinzip haben wir Liberale lange und hart gekämpft, es ist ein Grundbaustein des ordoliberalen Systems. Wenn jetzt Politiker der demokratischen Mitte, unter ihnen leider auch FDP-Abgeordnete, anfangen, dieses System in Frage zu stellen und offen einen Kurswechsel der EZB fordern, ist das hochriskant. Denn wenn man einmal beginnt, das Prinzip der Unabhängigkeit der Zentralbank infrage zu stellen, besteht immer die Gefahr, dass der dahingehende Konsens verlorengeht und Geldpolitik wieder von Regierungen gemacht wird. Was dann passieren könnte, möchte man sich gar nicht ausmalen. In linken Kreisen kursiert schon lange die Idee, durch expansive Geldpolitik Vermögen umzuverteilen, ein Verfechter davon ist zum Beispiel Jeremy Corbyn, der Vorsitzende der britischen Labour Partei. Die Grünen in den USA fordern, den Kampf gegen den Klimawandel durch das Drucken von Geld zu finanzieren. Wenn man als Liberaler, wenn auch aus anderen Gründen, an der Zentralbankunabhängigkeit sägt, dann öffnet man dadurch Tür und Tor für solche Experimente. Und das kann nicht unser Ziel sein.

Unseren Abgeordneten würde es deshalb gut zu Gesicht stehen, geldpolitische Entscheidungen unkommentiert zu lassen und nicht im Einklang mit der AfD und Markus Söder populistische Sprüche zu klopfen. Das muss nicht heißen, dass wir als Partei nicht berechtigte Zweifel daran haben können, ob die Politik der EZB noch von ihrem Mandat gedeckt ist. Aber dann muss man den Rechtsweg beschreiten und entsprechende Urteile, wie das Urteil des EuGHs aus dem Jahr 2018, das die Politik der EZB als mandatskonform einstuft, akzeptieren. Es ist jetzt an uns JuLis, aktiv auf die FDP und ihrer Mandatsträger einzuwirken, die Unabhängigkeit der Zentralbank zu akzeptieren und Wertungen der EZB-Politik zu unterlassen. Solche Diskussionen gehören in Vorlesungssäle und eben nicht in Parlamente.


Hieronymus Eichengrün ist Leiter des Landesarbeitskreises Europa, Außen & Verteidigung.