Präambel
Die Europäische Einigung ist eines der größten Erfolgsprojekte der menschlichen Geschichte. Über die Grenzen des Eisernen Vorhangs hinweg hat sie den europäischen Völkern zu Frieden, Freiheit und Wohlstand verholfen. Die Europäische Union ist eine Werte und Wirtschaftsgemeinschaft, die verschiedenste Bevölkerungsgruppen in Vielfalt vereint.
Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg schätzen diese Erfolge und bekennen sich ausdrücklich zu einer Weiterentwicklung der Europäischen Union auf der Basis von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft.
Das 21. Jahrhundert stellt hohe Anforderungen an ein bürgernahes Europa, das in einer globalisierten Welt Verantwortung für seine Bürger, für die Menschen anderer Regionen und für kommende Generationen übernehmen will. Mit konkreten Politikvorschlägen wollen wir unseren Beitrag zu einem demokratischen Europa mit einer europäischen Parteienlandschaft leisten, das diesen Ansprüchen gerecht wird. Wir wollen in der Gesellschaft für die Teilnahme an europäischer Politik werben und das Bewusstsein einer europäischen Gemeinschaft stärken.
Perspektiven für Europa
Die Jungen Liberalen fordern eine europäische Verfassung, die alle Bürger in einer europaweiten Volksabstimmung beschließen. Der Vertrag von Lissabon ist ein Schritt in die richtige Richtung. Nach dem irischen „Nein“ zum Reformvertrag von Lissabon ist der europäische Verfassungsprozess erneut ins Stocken geraten und wir stehen vor einem wichtigen Scheideweg der europäischen Geschichte. Sollte der Vertrag endgültig scheitern, muss der Fokus zunächst auf die Etablierung einzelner Verfahrensregeln und die Stärkung des Parlaments gelegt werden. Dazu gehört auch die bisher im Reformvertrag vorgesehene Einführung eines Bürgerbegehrens auf europäischer Ebene.
Die Erweiterungen der vergangenen Jahre waren mutig und richtig. Mit der Anzahl der Mitgliedsstaaten wachsen aber auch die institutionellen Herausforderungen. Vor künftigen Erweiterungsschritten ist Europa auf vereinfachte, transparentere und demokratischere Entscheidungsstrukturen unter vermehrter Anwendung des Mehrheitsprinzips angewiesen, um handlungsfähig zu bleiben. Langfristig streben die Jungen Liberalen einen europäischen Bundesstaat mit einem starken Parlament, einer gleichberechtigten Länderkammer und einer vom Parlament gewählten europäischen Regierung an. Das Parlament soll nach einem europaweit einheitlichen Verhältniswahlrecht gewählt werden und wie die Länderkammer ein Initiativrecht für europäische Rechtsakte erhalten. Delegierte der Länderkammer sollen an die Weisungen ihrer gliedstaatlichen Parlamente gebunden sein.
Die Jungen Liberalen wollen ein föderales Europa mit einer klaren Kompetenzverteilung zwischen Europa und den Nationalstaaten. Deutlich stärker als bisher soll das Subsidiaritätsprinzip beachtet werden: Nationale Aufgaben dürfen nur dann an die Europäische Union übertragen werden, wenn diese sie besser erfüllen kann. Eine verstärkte Mitsprache der nationalen Parlamente und die gesicherte Klagemöglichkeit vor einem europäischen Gericht sollen das Subsidiaritätsprinzip auch in der politischen Praxis verankern.
Wirtschaftspolitik
Die gemeinsame Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik ist ein elementarer Bestandteil europäischer Einigung. Nicht zuletzt mit der gemeinsamen Währung wurden auf diesem Gebiet große Fortschritte erzielt. Allzu oft verhindern aber nationale Interessen die Verwirklichung einer freien Marktwirtschaft. Protektionismus steht auch einer Öffnung der Märkte nach außen oftmals im Wege.
Daher fordern wir
- ein stufenweises Auslaufen der Gemeinsamen Agrarpolitik und die schrittweise Abschaffung von Produktsubventionen und -quoten
- einen konsequenten Subventionsabbau sowie die zeitliche Befristung und degressive Ausgestaltung aller neuen Subventionen
- die Errichtung eines unabhängigen europäischen Kartellamts
- die Beseitigung wettbewerbshemmender nationaler Vorschriften
- eine gemeinsame Energiepolitik mit umfangreicheren Kompetenzen die eigentumsrechtliche Trennung der Strom- und Gasnetze von der Energieproduktion
- keine weitere Vereinheitlichung der Steuer-, Sozial- und Beschäftigungspolitik, um einen Standortwettbewerb zu gewährleisten
- keine europaweiten Mindestlöhne eine Stärkung des Verbraucherschutzes, z.B. durch eine einheitliche und transparentere aber zugleich wertefreie Kennzeichnung von Produkten und Dienstleistungen
- den Abbau von Handelsschranken gegenüber Drittstaaten und die Erfüllung aller WTO-Verpflichtungen
- die Abschaffung der Zeitumstellung in Europa
Sicherheit und Bürgerfreiheit
Die wirksame Bekämpfung international organisierter Kriminalität und grenzüberschreitenden Terrorismus erfordert eine Koordination der nationalen Sicherheitskräfte. Auch die europäische Sicherheitspolitik ist rechtsstaatlichen Prinzipien und Grundrechten aber unbedingt verpflichtet. In Zeiten der modernen Informationstechnologie kommt dabei dem Datenschutz eine besondere Bedeutung zu.
Daher fordern wir
- eine in allen Rechtsbereichen verbindliche und einklagbare europäische Grundrechtecharta
- den Ausbau von EUROPOL zu einer gesamteuropäischen Polizei unter Kontrolle des Europäischen Parlaments mit operativen Befugnissen im Bereich des internationalen Terrorismus und grenzüberschreitender organisierter Kriminalität
- die bedingungslose Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien in der Ermittlungsarbeit
- einen Ausbau der Unionsbürgerschaft mit einem aktiven und passiven Wahlrecht auf allen Ebenen am Wohnsitz innerhalb der EU
- ein einheitliches Asylrecht auf Grundlage der Genfer Konvention und ein europäisches Amt für Migration
- eine gemeinsame Einwanderungspolitik und gesamteuropäische Visa
- eine Rücknahme der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung
- eine stärkere Verankerung des Datenschutzes im Primärrecht: Grundsätzlich sollen nur unbedingt erforderliche Daten zweckgebunden erhoben und mit hohen Sicherheitsvorkehrungen dezentral gespeichert werden. Den betroffenen Personen muss ein Recht auf Auskunft, Berichtigung und ggf. Löschung der Daten gewährleistet sein.
- eine Stärkung des europäischen Datenschutzbeauftragten durch mehr Personal sowie Rede- und Antragsrecht in allen EU-Organen zu datenschutzrelevanten Themen und erweiterte Kompetenzen (Überprüfung von Sekundärrecht, Überwachung der Umsetzung europäischer Datenschutznormen und internationaler Abkommen)
- ein striktes Verbot zur zentralen Speicherung biometrischer Daten
- ein Transferverbot staatlich erhobener Daten in Drittstaaten mit niedrigeren Datensicherheitsstandards (z.B. USA)
- ein europaweites Weitergabeverbot staatlich erhobener Daten an nicht-staatliche Akteure
Umwelt und Naturschutz
Ökologische Probleme wie der Klimawandel kennen keine Landesgrenzen und verlangen nach internationalen Lösungsansätzen. In der Klimaschutzpolitik unterliegen die Staaten der Europäischen Union aufgrund ihrer industriellen Vergangenheit einer besonderen Verantwortung. Die EU soll grundsätzlich nur bei solchen Umweltproblemen tätig werden, die nicht wirksam durch einzelne Nationalstaaten bekämpft werden können. Um eine effektive Umweltpolitik zu den geringsten Kosten zu ermöglichen, setzen wir in erster Linie auf marktwirtschaftliche Instrumente.
Daher fordern wir
- die vollständige Umsetzung aller Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls
- den europäischen Emissionshandel auf den Flug- und Straßenverkehr auszuweiten. Die Menge der insgesamt ausgegebenen Zertifikate soll deutlich reduziert und auf europäischer Ebene versteigert werden.
- die umweltpolitische Wirkung des Emissionshandels nicht durch zusätzliche, für nationale Klientelpolitik anfällige Subventionen, Strafsteuern oder Auflagen auszuhebeln
- verstärkte Forschungsinvestitionen im Bereich erneuerbarer Energien
- einen mittelfristigen Ausstieg aus der Kernenergie und einheitliche europäische Sicherheitsstandards
- keine europäische Regulierung lokaler Umweltprobleme ohne grenzüberschreitende Auswirkungen (Lärm, Feinstaub etc.)
- einen wirksamen Schutz der biologischen Vielfalt und stärkere Kontrollen im Bereich der Meeresfischerei
Bildung und Forschung
Der wirtschaftliche Wohlstand Europas beruht vor allem auf der Vermittlung und Weiterentwicklung von Wissen. Diese Stärken gilt es auszubauen. Im Wettbewerb um die besten Standorte soll Bildungspolitik eine Kernaufgabe der Länder bleiben. Aufgabe der EU ist in erster Linie die grenzüberschreitende Vernetzung von Bildung und Forschung, um einen dynamischen Wissenstransfer zu gewährleisten.
Daher fordern wir
- Förderung von Fremdsprachenprojekten
- eine verstärkte Vermittlung von Schulpartnerschaften (Comenius)
- ein umfangreiches Stipendienprogramm für den innereuropäischen Schüleraustausch
- weiterer Ausbau von Austauschprogrammen für Forschung und Bildung
- die gegenseitige Anerkennung von gleichwertigen Bildungsabschlüssen
- eine intensive Förderung von Grundlagenforschung
- die vollständige Vergemeinschaftung des Patent- und Urheberrechts
EU-Haushalt
Der größte Teil der Ausgaben im EU-Haushalt entfällt weiterhin auf Agrarsubventionen und regionale Entwicklung. Nationale Budgetinteressen stehen im Vordergrund der Nettozahler-Debatte und die Höhe der beizusteuernden Eigenmittel hängt oftmals vom Verhandlungsgeschick der Regierungen ab. Die Jungen Liberalen wollen eine von den Mitgliedsstaaten und Partikularinteressen unabhängige europäische Haushaltspolitik, die den Bedürfnissen des europäischen Volkes gerecht wird. Nicht Umverteilung, sondern die Erfüllung europäischer Kernaufgaben soll im Mittelpunkt stehen.
Daher fordern wir
- ein volles Budgetrecht des Parlaments
- die Abschaffung aller Eigenmittel-Nachlässe (z.B. Britenrabatt) und der Mehrwertsteuer-Eigenmittel. Bis zur Umsetzung des vollen parlamentarischen Budgetrechts sollen alle Mitgliedsstaaten denselben prozentualen Anteil des jeweiligen Bruttonationaleinkommens abführen.
- die Mehreinnahmen durch Versteigerung der Emissionszertifikate zur Senkung der nationalen Beiträge einzusetzen
- eine Beibehaltung des Verschuldungsverbots
- die nationale Kofinanzierung und stufenweise Abschaffung der Agrarsubventionen
- die Begrenzung von Subventionen im Rahmen der Struktur- und Kohäsionsfonds auf zwei aufeinander folgende Perioden. Sämtliche Förderungen sollen zweckgebunden sein und nur an strukturschwache Regionen vergeben werden.
- eine Zusammenlegung der nationalen Zollbehörden zu einem europäischen Zoll
Außenpolitik
Im Zeitalter der Globalisierung kann Europa auf eine gemeinsame Außenpolitik nicht verzichten. Mit vereinter Stimme soll sich Europa in der Welt und in einer starken UNO für Frieden, Menschenrechte und Freiheit einsetzen. Die gewaltfreie Diplomatie hat dabei absoluten Vorrang. Militärische Einsätze mit UN-Mandat dürfen nur das letzte Mittel sein, um schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und akute Gefährdungen souveräner Staaten abzuwehren. Sämtliche nationale Kompetenzen im Bereich der Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik sollen an die EU übertragen werden.
Daher fordern wir
- die Schaffung eines echten europäischen Außenministeriums, das die EU einheitlich nach außen vertritt
- die Mitgliedschaft der EU in allen wichtigen internationalen Organisationen (UN, NATO etc.)
- einen ständigen Sitz der EU im UN-Sicherheitsrat
- eine gemeinsame europäische Freiwilligenarmee unter parlamentarischer Kontrolle
- eine gemeinsame projektbezogene Entwicklungszusammenarbeit, die sich am Menschen orientiert
- eine europäische Behörde für Katastrophenhilfe
- ein konsequentes Bekenntnis zu Rüstungskontrolle und –abbau. Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihren Trägersystemen an Drittstaaten muss unterbleiben. Kriegswaffen, Rüstungsgüter und deren Kompetenzen dürfen nicht an Konfliktparteien geliefert werden.
- eine Intensivierung der Europäischen Nachbarschaftspolitik
- den Einsatz für einen fairen Freihandel, welcher Umwelt- und Menschenrechtaspekte in der ganzen Welt berücksichtigt
Europa liberal gestalten
Das Projekt der Europäischen Integration ist noch lange nicht vollendet. Institutionelle Reformen, eine transparente Einbindung aller Bürger und eine klare Aufteilung der Kompetenzen sind notwendig, um die Stabilität und Handlungsfähigkeit einer demokratischen Europäischen Union langfristig zu garantieren. Mit unseren Vorschlägen wollen wir schon heute zu einer liberalen Politik in Europa beitragen, bei der die Bürger stets im Mittelpunkt stehen.