Situation
Das weltweite Datennetz prägt zu Beginn des dritten Jahrtausends nahezu jeden Bereich des Privaten und des Wirtschaftslebens entscheidend mit. Seine Bedeutung wächst weiter. Die Kommunikation der Bürger und der Unternehmen über Telefon, Mobilfunk, Fax, eMail und web nimmt ständig zu. Damit hinterlassen die Menschen immer größere Datenspuren. Seit der Einführung des digitalen Mobilfunks kann man nicht nur Handies abhören, sondern auch im Nachhinein die Wege und Aufenthaltsorte ihrer Besitzer nachvollziehen.
Aufgrund der Digitalisierung können die Datenströme von staatlichen Überwachungsorganen immer schneller und besser kontrolliert, durchleuchtet und ausgewertet werden. Als in den 70er Jahren die Rasterfahndung (§ 98a StPO) „erfunden“ wurde, musste man den Computern zum Zweck des Datenabgleichs die Daten noch mit Lochkarten zuführen – heute könnte man sämtliche Verbindungsdatensätze aller deutschen Kommunikationsnetze, die an einem Tag entstehen, innerhalb von Minuten miteinander abgleichen.
Zudem lassen sich heute durch das Einsehen von Verbindungsdaten aus dem Internet im Gegensatz zu bloßen Telefonnummern Rückschlüsse über den Inhalt der geflossenen Daten ziehen. Es lassen sich sogar recht einfach Nutzerprofile erstellen. Eine Trennung von Verbindungs- und Inhaltsdaten ist insoweit gar nicht mehr möglich.
Andererseits wird der betriebene Aufwand dadurch in Frage gestellt, dass gerade finanzkräftige Schwerkriminelle, die das Hauptziel von Ermittlungen im Netz sind, ohnehin über aufwändige Verschlüsselungstechnik verfügen, um Telefongespräche und eMails abhörsicher zu machen und damit diese und somit sich selbst dem Zugriff der Behörden zu entziehen.
Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg wollen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Telekommunikationsgeheimnis aus Art. 10 GG schützen. Gleichzeitig wollen wir eine effektive Kriminalitätsbekämpfung sicherstellen.
Leitlinien
- Die Menschen handeln eigenverantwortlich und wissen selbst am besten, welche Netzinhalte gut und welche schlecht für sie sind.
- Weil man den Bürgern etwas zutrauen kann, ist jede(r) einzelne von ihnen auch aufgefordert, sich genau zu überlegen, welche Daten er/sie ins Netz eingibt und sich zu vergewissern, was damit geschieht.
- Nicht alles, was Menschen tun, ist kontrollierbar; wer dies dennoch glaubt, ist einem Wahn verfallen. Aber selbstverständlich darf das Netz kein rechtsfreier Raum sein.
- Es gibt keine Rechtfertigung, das virtuelle Leben stärker einzuschränken als das wirkliche. Auch im Netz muß es private Rückzugsräume geben, die wie eine Wohnung im Normalfall gegenüber den Ermittlungsbehörden tabu sind.
- Wir wenden uns gegen ein Übermaß an staatlicher Kontrolle. Das Übermaß ist dann erreicht, wenn
- die Bürger, die sich der Kommunikationseinrichtungen bedienen, unter einen pauschalen Kriminalitätsverdacht geraten oder
- die gewonnene Datenflut wegen ihrer Dimensionen von den Ermittlern nicht mehr ausgewertet werden kann.
Forderungen
Effektive Ermittlungsbehörden
Die Strafverfolgungsbehörden müssen in eine Lage versetzt werden, in der sie ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen können. Für uns steht dabei die bessere sächliche und personelle Ausstattung im Vordergrund. Nicht nur, dass bei der Polizei, dem Bundesgrenzschutz und dem Bundeskriminalamt etwa 30.000 Stellen unbesetzt sind, es gibt auch nach wie vor erhebliche Defizite im Bereich des Eigenschutzes (zB kugelsichere Westen) und von Fahrzeugen, EDV-Ausstattung und bei der Aus- und Fortbildung. Schärfere Gesetze bringen uns hier nicht weiter. Damit keine Missverständnisse entstehen: wir Junge Liberale wollen eine wirksame Bekämpfung der Kriminalität.
Keine Langfrist-Speicherung
Die Jungen Liberalen sind strikt gegen Vorstellungen des CDU-Bundesvorstandes, dass Polizisten künftig ohne richterliche Genehmigung Computer durchsuchen oder Verbindungsdaten untersuchen dürfen sollen. Die von einigen geforderte langfristige Speicherung aller personenbezogenen Daten träfe in der überwältigenden Mehrheit unbescholtene Bürger. Außerdem würde sie eine Datenflut erzeugen, der keine Behörde mehr Herr werden könnte. Sie würde uns nur dem Orwellschen Albtraum näher bringen. Wir setzen dem das „Freeze and Preserve“-Konzept entgegen, wonach ein Internet-Provider auf einen Anruf der Strafverfolger hin sofort die Verbindungsdaten eines Verdächtigen speichert. Der behördliche Zugriff darf dann erst mit einem richterlichen Beschluß erfolgen. Bleibt dieser aus, müssen die Daten innerhalb weniger Tage wieder gelöscht werden.
„black boxes“
Ebenso lehnen wir die Pläne der Bundesregierung ab, in der neuen Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) festzulegen, dass die Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen (Sprache, Mobilfunk, Internet etc.) auf eigene Kosten Schnittstellen (sog. black boxes) vorhalten müssen, auf die Ermittlungsbehörden jederzeit zugreifen können. Der dadurch entstehende enorme technische Aufwand trifft die Provider und würde mit einem Schlag einen erheblichen Rückschritt für das Internet bedeuten. Die dafür anfallenden Kosten den Betreibern aufzuerlegen, bedeutet eine Externalisierung von Kosten für die Verbrechensbekämpfung, mithin ein echtes Novum! Außerdem bezahlen das letztlich natürlich die Kunden über deutlich höhere Preise. Schließlich können durch solche Schnittstellen Sicherheitsprobleme und Datenlecks auftreten.
Internet-Streife auf gesetzliche Grundlage stellen
Die sog. Internet-Streife bedeutet in Wahrheit ein systematisches Scannen auf „verbotene“ Inhalte. Hierbei ist noch nicht geklärt, ob dafür der Bund bzw. das BKA (wenn man das Internet der Telekommunikation zurechnet) oder die Polizeien der Länder (wenn man das Internet zum Bereich der Medien zählt) zuständig sind und ob dies präventives oder repressives Polizeihandeln ist. Vielmehr ermitteln beide Seiten nebeneinander, ohne über eine tragfähige Ermächtigungsgrundlage zu verfügen. Die Jungen Liberalen fordern hier klare Kompetenzabgrenzungen und –grenzen und als Voraussetzung für die Überwachung einen konkreten Tatverdacht hinsichtlich in einem Katalog festzulegender Straftaten (wie solcher gegen das Leben, gegen den Körper und gegen die sexuelle Selbstbestimmung).
Berichtspflicht
Wenn das Parlament die Ermittler mit Befugnissen ausstattet, hat es auch das Recht, zu erfahren, was die Behörden mit diesen Instrumenten erreicht haben bzw. ob damit Missbrauch getrieben wird. Von 1998 auf 1999 ist in Deutschland die Zahl der Ermittlungsverfahren, in denen Telefon-Überwachungen stattgefunden haben, von 2705 auf 3034, also um 12 %, gestiegen. Dennoch wissen weder der Bundestag noch die Landtage, ob diese Maßnahmen erfolgreich oder unnötig waren. Bislang gibt es noch nicht einmal eine Statistik über die Ergebnisse. Deshalb fordern wir, dass die Parlamente der dann zuständigen Körperschaften (Bund, Länder) periodisch darüber unterrichtet werden, wie viele Personen von entsprechenden Maßnahmen betroffen gewesen sind, welchen Erfolg die Maßnahmen gebracht haben und was sie gekostet haben.
Freier Zugang zu Kryptotechnik
Um persönliche Daten auch vor privaten Hackern und Lauschern schützen zu können, müssen die Bürger das Recht haben, Verschlüsselungstechniken für eMails und Dateien zu benutzen, ohne dem Staat den Schlüssel dazu in die Hand zu geben. Wir fordern den freien Zugang zu Kryptotechnik, damit Privates privat bleibt.
Strategie
Die Bürgerrechte sind gegenwärtig durch staatliche Einschränkungen bedroht – alle bedeutenden Parteien in Deutschland wollen die aktuelle Angst der Menschen ausnutzen, um auch außerhalb der Überwachung des Netzes Maßnahmen durchzusetzen, die sie schon lange planen (Schily: Beschränkung der Einwanderung; Eichel: Abschaffung des Bankgeheimnisses; Merkel: Einsatz der Bundeswehr im Innern) – außer der FDP. Deshalb sind wir nun gefordert, die Bürger auf die drohenden Einschränkungen aufmerksam zu machen und mit ihnen gemeinsam dagegen vorzugehen. Wir Liberale sind die Einzigen, die dem Trend zu verstärkter Kontrolle Einhalt gebieten können. Wir fordern die FDP auf, an diesem Kurs festzuhalten und mit uns den aufgezeigten Weg zu gehen.