Die Jungen Liberalen Baden-Württemberg fordern ein Zwei-Säulen-Konzept zur Behandlung
von Endometriose, das einerseits auf Aufklärung und andererseits auf Verbesserung der
Therapie durch Forschung setzt und damit einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Beide
Säulen ergänzen sich also gegenseitig in ihrem übergeordneten Ziel: Die Lage der
Betroffenen zu verbessern und die Gesellschaft in diesem Ziel mitzunehmen und
aufzuklären.
Säule 1 — das medizinische Chamäleon in all seinen Facetten erforschen — Forschung,
Therapien, Angebote
Kenne deinen Forschungsgegenstand — Endometriose zum Leitthema des Jahrzehnts machen
Wir begrüßen die erstmalige Einrichtung eines gesonderten Forschungsrahmens von 5
Mio. € jährlich für Endometriose-Forschung im Bundeshaushalt durch die Ampelregierung
im Oktober 2022. Die Finanzierung von Studien in der Endometriose-Forschung muss
jedoch weitgehender angelegt werden und langfristige Forschung in die
Finanzierungsrahmen implementiert werden; übergreifende Langzeit-Studien müssen
ebenso finanziert werden können wie fachübergreifende Studien bzw. Forschungsreihen,
da bereits in der Vergangenheit gehäuft Ergebnisse zu Endometriose als Nebeneffekt
aus thematisch auswärtigen Untersuchungen hervorgingen. Außerdem muss der
Forschungsrahmen drastisch erhöht werden. Wir fordern nach französischem Vorbild die
nationale Endometriose-Forschung mit jährlich mindestens 25-30 Mio. € zu bezuschussen
und konstant im Bundeshaushalt zu verankern. Bei Antragstellung für Bezuschussungen
muss eine erste Abschätzung auf Erfolg nach Antragstellung innerhalb eines Monats
erfolgen.
Perspektivisch sehen wir eine transeuropäische bzw. internationale Zusammenarbeit bei
der Bekämpfung von Endometriose als unerlässlich an, um Forschungsfortschritte
langfristig zu sichern. Im Rahmen des Europäischen Forschungsraums (EFR) muss
Deutschland gemeinsam mit Frankreich u.w. innerhalb des Pakts für Forschung und
Innovation die europäische Zusammenarbeit zum Thema Endometriose weiter vorantreiben
und ausbauen.
Endometriose muss das Gesundheits-Leitthema des Jahrzehnts in Deutschland werden und
entsprechend als Priorität in der Gesundheitsforschung behandelt werden.
Anreize zur gründlichen Untersuchung setzen
Die Behandlungen von Endometriose-Patientinnen sind adäquat zu entlohnen, da Ärzte
häufig nicht den realen Aufwand von chronischen Erkrankungen geltend machen können.
Sowohl in den Patientenbudgets für niedergelassene Ärzte (vorrangig Hausärzte,
Frauenärzte, Internisten) als auch in Krankenhäusern müssen daher neue
Vergütungsregelungen eingeführt werden, um (chronischen) Beschwerden durch
Patientinnen gesondert nachgehen zu können.
Ein deutsches Mädchen weint nicht — außer es führt Tagebuch
Ein Schmerztagebuch bietet Ärzten und Pflegern die Möglichkeit, die
Schmerzbeschreibungen einer Patientin über einen längeren Zeitraum nachvollziehen und
sie ähnlich einer Datenerhebung in einen Vergleich zueinander setzen zu können. Das
Einführen eines extra Budgetrahmens für verdächtige Kandidatinnen und nachweislich
Betroffene öffnet die Chance, eine Patientin an das Führen eines Schmerztagebuches
heranzuführen, es sowohl im Krankenhaus als auch beim Frauenarzt o.ä. zu erklären und
regelmäßig gemeinsam zu evaluieren und Fortschritte im Behandlungsverlauf zu
überprüfen.
Willst du Kinder? Mit Endometriose wird das nichts — Eizellen einfrieren übernehmen
Ungewollte Infertilität ist eine der häufigsten Auswirkungen von Endometriose.
Betroffene Frauen mit aktuellem und späterem (eventuellen) Kinderwunsch dürfen daher
nicht doppelt an ihrer Erkrankung leiden müssen. Wir fordern daher bei erwiesener
Betroffenheit die vollständige Kostenübernahme der Eizellenentnahme, Einfrierung,
Lagerung usw. (‚Social Freezing‘) durch die Krankenkassen äquivalent zum bereits
etablierten Vorgehen bei Krebspatientinnen (‚Medical Freezing‘)
Forschungserfolg Speicheltest — Kosten übernehmen
Erfolg europäisch vernetzter Forschung aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz:
Mithilfe eines Speicheltests lässt sich innerhalb von 2 Wochen feststellen, ob
Endometriose vorliegt. Wir fordern die vollständige Kostenübernahme durch die
Krankenkassen im Verdachtsfall.
Angebote stärken, Endometriose-Zentren ausbauen — landesweit und bundesweit
Bisher gibt es deutschlandweit wenige sog. Endometriose-Zentren und Spezialisten für
das Thema. Trotz der Vielzahl der betroffenen Frauen ist die Versorgungslage an
medizinischer Betreuung also nicht zufrieden stellend. Lange Wartezeiten und lange
Anfahrtswege sind die Folge. Wir fordern daher den Ausbau der Angebote durch
spezifische Förderung von Weiterbildungen im Bereich Endometriose-Versorgung (sh
Fortbildungen für Ärzte), Anreize zur Angebotserweiterung und Förderung bei der
Etablierung von Kompetenzzentren. Ziel muss sein, dass in jedem Bundesland
deutschlandweit mindestens ein Endometriose-Zentrum aufgebaut wird und in Baden-
Württemberg zusätzlich zu den bereits bestehenden (Heidelberg, Tübingen) Knotenpunkte
der Endometriose Versorgung so geschaffen werden, dass keine Frau im Land weiter als 30km von einem ärztlichen Angebot entfernt wohnt.
Als Team gegen den Schmerz — Therapiemethodiken vielfältig aufstellen
Chronischer Schmerz ist neben der körperlichen auch eine massive psychische Belastung
und somit ein großer Stressfaktor. Um den Grad an Gesamtbelastung durch Endometriose
möglichst gering zu halten, helfen nicht nur Medikamente wie klassische
Schmerzmittel, sondern auch ergänzende Therapien wie Progressive Muskelentspannung,
Yoga, Pilates, uvm. Betroffenen nachweislich. Der Therapieansatz sollte daher immer
komplementär und divers angelegt werden und sich an den Bedürfnissen und
individuellen Symptomen und Präferenzen der Patientin orientieren. Auch die Aufnahme
einer Psychotherapie kann chronischen Schmerzpatienten bei der Bewältigung der
Krankheitssymptome helfen. Die Erforschung von helfenden Therapien und deren
Kostenübernahme sind daher unerlässlich. Die Behandlung einer Endometriose-Patientin
ist also immer Teamarbeit aus gemeinsamer ärztlicher, physiotherapeutischer und
psychotherapeutischer Versorgung.
Nach der OP ist vor der Reha — Angebote ausbauen, Heilungsverläufe unterstützen
Falls eine Operation (z.B. Entfernung der Gebärmutter) notwendig ist, ist eine direkt
anschließende Versorgung der Patientin über Anschlussrehabilitation (AHB) dringend
notwendig. Diese Maßnahmen können direkt überführt werden in medizinische Reha-
Maßnahmen und dienen der schnellen körperlichen Wiederherstellung nach der OP, dem
schnellen Wiedereinstieg ins Arbeitsleben und der Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben. Vermehrt kommt es jedoch vor, dass dem Antrag von Endometriose betroffenen
nicht oder nur in geringem Umfang entsprochen wird. Der Zugang muss für Patientinnen
also vereinfacht werden und die Übernahme von Therapieverlaufsplänen durch
Krankenkassen zur Normalität werden.
Desweiteren wollen wir die interdisziplinäre Zusammenarbeit der an der Behandlung
beteiligten Disziplinen fördern.
Säule 2 — das medizinische Chamäleon entdecken lernen — Wissen & Aufklärung
Aufklärungsarbeit zu betreiben ist essentiell, um neuartige Forschungsergebnisse in
ärztliche Behandlungen und gesellschaftliche Anerkennung Betroffener übertragen zu
können. Wir fordern daher eine bundesweite Aufklärungskampagne zu Endometriose, um
junge Menschen und Funktionsträger vorrangig in medizinischen Berufen und
Lehrtätigkeiten zu informieren und eine frühere Diagnose zu ermöglichen. Die aktuelle
Kampagne der Bundesregierung und Schwerpunkt-Themensetzungen einzelner Parteien z.B.
auf Social Media sind ein guter Schritt, um Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken.
Wir fordern jedoch weiter zu denken und nach dem Vorbild von Frankreich Endometriose
zum Fokusthema des Jahrzehnts innerhalb der Frauen-Gesundheitspolitik zu machen.
Endome… wie bitte? — Wissen vermitteln, Lehre einbinden
Die Aufnahme in den Schulstoff sowohl von Schülern im Biologie- und
Sexualkundeunterricht in allen Schulformen in der Sekundarstufe I, als auch in den
Schulstoff von Pflegefachschülern bzw. in den Lernstoff im Medizinstudium und den
Fachqualifikationen für Gynäkologen, Internisten sowie Schmerzspezialisten
während der Ausbildung ist von hoher Bedeutung. Im Schulunterricht hat der Fokus auf
einem Grundverständnis der diversen Symptomatik zu liegen; biologisch-medizinische
Details dagegen gehören verstärkt in die medizinische Fachausbildung.
Im nächsten Bildungsplan innerhalb der Leitperspektive Prävention und
Gesundheitsförderung muss Aufklärung über Endometriose daher verankert werden.
Ebenso müssen entsprechend betreffende Fachlehrer (Biologie, Sport),
Berufsschullehrer (Hebammen-, Pflegeberufe, MFA, u.w.), Dozenten, etc. entlang
aktueller Forschungsergebnisse kostenlos fortgebildet werden, um Ausbildungsinhalte
adäquat auszugestalten. So sichern wir einen flächendeckenden und nachhaltigen
Wissensaufbau.
Weil Gott dich nicht mit Schmerzen strafen will, weil eine Frau den Apfel
pflückte, und Aufklärung nicht am Sprachverständnis scheitern darf
Da Endometriose nicht nach sozialer, religiöser und nationaler Herkunft
unterscheidet, muss die Aufklärung zum Thema übergreifend angelegt werden.
Aufklärungskampagnen müssen daher zusätzlich explizit an Gruppen gerichtet sein, die
üblicherweise von allgemeinen Aufklärungskampagnen in Deutschland schwer oder gar
nicht erreicht werden, um eine schnelle gesamtgesellschaftliche Durchdringung zu
erreichen. Mit einer allgemeinen Aufklärungskampagne ist es nicht getan.
Das Angebot muss demnach in verschiedenen Sprachen — mindestens: russisch,
ukrainisch, türkisch, polnisch, arabisch — angeboten und im Sprachgebrauch so
verständlich formuliert werden, dass verschiedene Sprachniveaus erreicht werden.
Beispiele können genommen werden an Informationen in sog. „Leichter Sprache“.
Sexuelle Selbstbestimmung basiert auf weitreichendem Wissen über den eigenen Körper.
In bildungsfernen Milieus, tief religiösen sowie konservativen Hintergründen ist eine
starke Entfremdung gegenüber dem Thema erkennbar. Kampagnen zum Thema Endometriose
müssen daher sensibel gestaltet werden und bedürfen gesonderter Ausformungen, um
erfolgreich Wissen rund um die Krankheit in verschiedenste Milieus hinein zu
vermitteln.
Schmerzen ernst nehmen, Ursachen abklären — Aufklärung in der Gesundheitsversorgung
Durch etliche Studien wiederholt nachgewiesen ist: Berichte über Schmerzen, vor allem
chronische, werden von Ärzten, Pflegepersonal, usw. nicht ausreichend ernst genommen.
Noch mehr trifft dies auf Schmerzberichte durch Frauen zu. Explizit Schmerzberichte
ohne organische, quantitativ nachvollziehbare Ursache werden in ihrem beschriebenen
Grad häufig als Übertreibung hingestellt, nicht weiter verfolgt und falls sie nicht
missachtet werden, nicht ausreichend auf ihre Ursache hin untersucht. Auch
gesamtgesellschaftlich lässt sich dieser Umgang mit Schmerzberichten v.a. bei Frauen
nachweisen. („Reiß dich mal zusammen, jede Frau hat Regelschmerzen.“)
Die Aufklärung unter medizinischem Fachpersonal über Endometriose kann daher nicht
genug Augenmerk genießen. Ob Geburtshäuser, Geburtsstationen, Kliniken,
Allgemeinarztpraxen und Frauenarztpraxen bundesweit — überall, wo Frauen medizinisch
betreut werden, ist ein Grundwissen über Endometriose hilfreich um Berichte über
Menstruationsbeschwerden u.a. durch Patientinnen richtig in ihrer Symptomatik
einzuordnen. Der Fokus hat daher auf dem flächendeckenden Ausbau von Angeboten für
Fortbildungsseminare für Fachärzte, Weiterbildungen für Pflegepersonal in
Frauenkliniken und andernorts zu liegen.
Die Ausnahme von der Regel — Männer, die von Endometriose betroffen sind
Endometriose ist eine gynäkologische Erkrankung. Dennoch sind auch einige wenige
(nicht-trans- oder intersexuelle) Männer nachweislich von der Erkrankung betroffen.
Aus den dokumentierten Fällen ergibt sich bisher, dass vor allem das Hormon Östrogen
eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Ausprägung der Endometriose spielt.
Weitere Forschung zur Symptomatik, Entstehung, Behandlung und Vorbeugung bei Männern
muss daher bei den Forschungsansätzen mitgedacht werden.
Dieser Beschluss ist auf 10 Jahre befristet.