Einleitung
Die Jungen Liberalen beobachten die politischen Verhältnisse und Entwicklungen in Ungarn mit großer Sorge. Die neue rechtspopulistische Regierung, die über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament verfügt, hat binnen kürzester Zeit eine neue Verfassung verabschiedet. Diese droht bei entsprechender Umsetzung demokratische Strukturen zu unterminieren. Ebenso ist in Ungarn ein Mediengesetz in Kraft getreten, welches eine indirekte Zensur ermöglicht und nach unserer Ansicht die europäische Grundrechtecharta verletzt. Dies sind Entwicklungen, die wir nicht nur als Liberale und Demokraten, sondern auch als überzeugte Europäer nicht dulden können und wollen. Die EU muss hier klar für die Grundrechtecharta eintreten und mit einer Stimme sprechen, damit dieses Vorgehen keine Chance hat.
Das Mediengesetz
Anfang des Jahres trat ein neues Mediengesetz in Ungarn in Kraft, dessen Hauptbestandteil eine zentrale Behörde für alle Medien ist, von der sämtliche öffentlich-rechtlichen Medienanstalten organisatorisch und finanziell abhängig sind und die alle privaten Medien nach eigens aufgestellten Regelungen kontrolliert. Funktionäre der Behörde werden von der Regierung auf 9 Jahre ernannt. Im Zuge der darauf folgenden Debatte innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten um das Gesetz, besserte Ungarn es nach, um die EU-Medienrichtlinien, wie von der Kommission gefordert, einzuhalten. Die Jungen Liberalen betrachten diese Nachbesserungen allerdings nicht als ausreichend. Die Kernpunkte des Gesetzes bestehen noch immer, konkrete Formulierungen wurden durch beliebig dehnbare Termini ersetzt. Ein solches Gesetz ist eine Schande für die Europäische Union. Bisher hat sich die Europäische Kommission unter Berufung auf die EU-Medienrichtlinien jedoch geweigert, die europäische Grundrechtecharta als Grundlage für ein Vertragsverletzungsverfahren heranzuziehen. Die Kommission hat es versäumt, sich glaubwürdig und konsequent für Pressefreiheit einzusetzen. Wir kritisieren ihre geringen Anforderungen und das schnelle Nachgeben zutiefst. Die Kommission wird ihrer Rolle als Hüterin der Verträge nicht gerecht. Die Jungen Liberalen erwarten eine erneute Prüfung des Mediengesetzes auf Grundlage der EU-Grundrechtecharta und eine kritischere Kommission, die Verstöße gegen die Grundrechtecharta effektiv ahndet und auch vor einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof nicht aus diplomatischen Gründen zurückschreckt.
Die Verfassung
Besonders besorgt sehen die Jungen Liberalen die neue ungarische Verfassung, die zum 1. Januar 2012 in Kraft treten soll. Nicht nur wurde die mit „Nationales Glaubensbekenntnis“ betitelte Präambel, zur Auslegungsgrundlage der gesamten Verfassung erklärt, auch ist die Verfassung so geschrieben, dass sie der Regierung Orbán als Instrument der Machterhaltung dienen und demokratische Strukturen untergraben kann. So sollen entscheidende Politikbereiche künftig durch „Kardinalgesetze“ geregelt werden, die nur durch eine Zweidrittelmehrheit geändert werden können. Politikwechsel können in Zukunft nur noch mit einer Zweidrittelmehrheit vonstatten gehen, womit der Wählerwille hintergangen werden könnte. Die aktuelle Regierung hat für den Fall, die Mehrheit zu verlieren, ihre Politik in Stein gemeißelt. Ebenso wurden die Befugnisse des ungarischen Verfassungsgerichts in Finanzfragen auf einen Budgetrat übertragen, der vom ungarischen Präsidenten ernannt wird. Dieser Budgetrat kann jeden vom Parlament verabschiedeten Haushalt zurückweisen, was dem Präsidenten die Möglichkeit eröffnet, das Parlament aufzulösen, wenn es keinen Haushalt verabschiedet. Die Jungen Liberalen erachten Teile der neuen Verfassung Ungarns als eine Abkehr von europäischen Grundwerten und als einen Angriff auf die demokratische Ordnung insgesamt Wir fordern die Europäische Kommission auf, an ihrer Ankündigung festzuhalten, eine Umsetzung entsprechender Regelungen in legislative Praxis nicht zu dulden. Wir fordern das Europäische Parlament auf, eine Resolution gegen die Gesetzgebung der Fidesz zu verabschieden, in der es große Bedenken gegen die neue Verfassung zum Ausdruck bringt. Wir fordern die Fraktion der EVP im Europäischen Parlament auf, die Vollmitgliedschaft der Fidesz kritisch zu hinterfragen. Gerade die Gruppe der CDU/CSU-Abgeordneten sollten sich eindeutig kritisch positionieren. Hinsichtlich des offensichtlichen Gefährdungspotenzials sollte die Kommission auch weiter Bedenken gegenüber der ungarischen Regierung klar zum Ausdruck bringen und diese Regelungen kritisch zu überprüfen. Zusätzlich fordern wir die Europäische Kommission auf, die Budgetregelungen der ungarischen Verfassung vor dem Europäischen Gerichtshof einer umfassenden Prüfung unterziehen zu lassen
Der Umgang mit Ungarn in der Zukunft
Im Rahmen der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft wurde eine besondere Aufmerksamkeit auf das Land gelenkt, innerhalb derer das Mediengesetz und die neue Verfassung auf Kritik gestoßen sind. Die Jungen Liberalen warnen eindrücklich davor, die politischen Entwicklungen in Ungarn aus den Augen zu verlieren. Weitere unrechtsstaatliche Regelungen, etwa Lockerungen des Rechtsschutzes der Bürger, sind bereits in Arbeit. Nur eine starke Europäische Union, die jede einzelne Vertragsverletzung ahndet, kann die Regierung Orbán zur Vernunft bringen. Vor dem Einleiten und konsequenten Umsetzen von Vertragsverletzungsverfahren, inklusive dem Stimmrechtsentzug im Europäischen Rat als letzte Ahndungsmöglichkeit, darf die Europäische Kommission nicht zurückschrecken. Auch einen zeitweiligen Ausschluss Ungarns halten wir für möglich.
Allgemeine Schlussfolgerungen
Für die Jungen Liberalen hat ein geeintes Europa, in dem jeder Mitgliedsstaat Verantwortung übernimmt für sich und die gesamte Europäische Union, oberste Priorität. Gerade weil wir ein vereintes Europa als Wirtschafts- und Wertegemeinschaft wollen, sollte verstärkt Kritik an negativen, politischen Entwicklungen in EU-Mitgliedsstaaten geäußert werden dürfen. Sollte sich folglich ein Mitgliedsstaat geltenden Regeln und Richtlinien der EU widersetzen oder versuchen sie zu umgehen, so ist es Aufgabe der Kommission stärker durchzugreifen und die Europäische Wirtschafts- und Wertegemeinschaft zu schützen. Ungarn ist auf dem besten Wege sich von europäischen Werten abzusondern. Dies dürfen wir nicht dulden. Wirtschafts- und Wertegemeinschaft sollten Hand in Hand gehen. Kein europäischer Staat kann sich von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verabschieden, gleichzeitig jedoch vom gemeinsamen europäischen Binnenmarkt profitieren. Diesbezüglich mahnen die Jungen Liberalen die Europäische Union, den Anspruch an die Erfüllung der Beitrittskriterien nicht ausschließlich zum Zeitpunkt des Beitritts, sondern zu jedem Zeitpunkt der Mitgliedschaft eines Landes in der Europäischen Union einzufordern. Alles andere wird zwangsläufig zur Aushöhlung des Systems der EU führen. Eine Mitgliedschaft in der EU bedingt eine Selbstverpflichtung zum europäischen Wertekanon.